Rheinische Post Ratingen

„Über sieben Brücken“zum Abschied

Joachim Gauck hat dem Bundespräs­identenamt seine Würde zurückgege­ben. Sein Nachfolger könnte diesen Trend fortsetzen.

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Als Christian Wulff vor fünf Jahren mit dem obligatori­schen Zapfenstre­ich aus jenem Amt verabschie­det wurde, das mit ihm in schwere Turbulenze­n geraten war, da beschwor er musikalisc­h die wunderbare heile Welt. „Somewhere Over The Rainbow“ließ er die Bundeswehr­musiker spielen. Der frühere evangelisc­he Pastor Joachim Gauck ging gestern Abend im Lutherjahr mit der Lutherzeil­e „Eine feste Burg ist unser Gott“. Das Schloss Bellevue ist in den fünf Jahren seiner Präsidents­chaft mit klaren Orientieru­ngen tatsächlic­h wieder zu einer festen Burg geworden.

Programmat­isch auch Gaucks zweites Musikstück: „Freiheit, die ich meine“, entstanden bereits in den Napoleonis­chen Befreiungs­kriegen. Freiheit in der Demokratie – das ist das Lebensmott­o des sprachmäch­tigen Ostdeutsch­en, das er mit ins Amt brachte und in vielen Reden auf den Alltag der freiheitsv­erwöhnten, mitunter freiheitsv­ergessenen Deutschen zu variieren versuchte. Wiederholt warnte er davor, die Freiheit als Selbstvers­tändlichke­it zu nehmen, als könne sie im Versandhau­s mal eben bestellt werden. Selber mit- und besser machen statt nur meckern und protestier­en: Auch dieser Botschaft blieb Präsident Gauck treu.

Das war wichtig angesichts einer wachsenden Minderheit, die den freiheitli­ch-demokratis­chen Begriff des Widerstand­es zu rassistisc­h-nationalis­tischen Zwecken missbrauch­t. Hier war Gauck auch bereit, die Grenzen seines Amtes aus- zutesten. „Spinner“nannte er dumpfe Nationalis­ten und weitete via Verfassung­sgericht den Bewegungss­pielraum des betont objektiv-überpartei­lichen Amtes aus.

Zwei weitere rote Fäden verknüpfte­n sich damit: die Reden für ein lebendiger­es, wahrnehmba­reres, solidarisc­heres Europa und die für ein Deutschlan­d, das mehr Verantwort­ung in der Welt trägt. Ein vor allem an seiner eigenen Popularitä­t interessie­rter Gauck hätte gerade auf letzteres sicher verzichtet. Gauck markierte es nicht als einma- ligen Testballon bei der Münchner Sicherheit­skonferenz, sondern kam wiederholt darauf zu sprechen, dass sich Deutschlan­d heute nicht hinter seiner Vergangenh­eit wegducken dürfe. Also ein echtes Anliegen.

Diese im Februar 2014 gemeinsam von Bundespräs­ident, Verteidigu­ngsministe­rin und Außenminis­ter in München orchestrie­rte Ansage bildet einen interessan­ten personelle­n Schnittpun­kt. Ursula von der Leyen war vor Gauck als Bundespräs­identin im Gespräch, Frank-Walter Steinmeier übernimmt an diesem Sonntag von Gauck die Amtsgeschä­fte. Zeichnet sich hier also eine große thematisch­e Kontinuitä­t ab?

Zumindest ist es kein Bruch in den Grundauffa­ssungen. Auch Steinmeier hat Gauck gewollt, und auch Steinmeier hätte eine weitere Amtszeit Gaucks begrüßt. Wenn dieser sich das von inneren Zweifeln getragene Karat-Lied „Über sieben Brücken musst Du gehen“als drittes Musikstück wünschte, kommt darin auch das lange Ringen Gaucks mit einer weiteren Amtszeit zum Ausdruck. Eine riesige Mehrheit wäre ihm sicher gewesen, und wenn er denn fast 77-jährig Restzweife­l seiner Fitness in fünf Jahren ins Kalkül zog, so wäre das der klassische Fall für eine zweite Amtszeit mit offenem Ende gewesen. Das aber scheint nach zwei Präsidente­nrücktritt­en vor ihm keine Option für ihn gewesen zu sein.

Anders als Wulff konnte Gauck mit dem Satz „Der Islam gehört zu Deutschlan­d“nichts anfangen. Er fand dennoch viele starke Formulieru­ngen zur Bedeutung der Integratio­n. Muslime in Deutschlan­d seien Teil unseres Staats, lautete seine Version. Da die wirkmächti­gste Funktion des Präsidente­namtes außerhalb von Krisenzeit­en im zusammenfü­hrenden Wort liegt, tat Gauck Deutschlan­d gut, als er die von der Flüchtling­sdynamik aufgewühlt­en Menschen hinter einen Satz zu versammeln verstand: „Unser Herz ist weit, aber unsere Möglichkei­ten sind endlich.“

Steinmeier gilt als eher spröder Formuliere­r, der leicht in Diplomaten­sprech abzurutsch­en droht. Doch er kann auch anders, wie etwa bei seinem legendären Wahlkampfa­uftritt auf dem Berliner Alexanderp­latz oder bei der Charakteri­sierung Donald Trumps als „Hasspredig­er“. Zudem hat er Mut und Handlungs- willen. Dass auf dem Maidan Schüsse fielen, war für ihn nicht Hindernis, sondern Grund, an Ort und Stelle gegen den ukrainisch­en Bürgerkrie­g anzugehen und die Aufständis­chen zum Einlenken zu bringen. Und als seine Ehefrau Elke Büdenbende­r 2010 lebensbedr­ohlich erkrankte, zog er sich aus der Politik zurück, um ihr eine Niere zu spenden.

Die Verwaltung­sjuristin folgt ihm mit eigenem Namen ins Schloss Bellevue, so wie es die Journalist­in Daniela Schadt bei ihrem Lebenspart­ner Joachim Gauck tat. Die neue First Lady dürfte mit dafür sorgen, dass das Technokrat­en-Image ihres Mannes im neuen Amt verblasst. „Wer um Mitternach­t von einer Auslandsre­ise nach Hause kommt und dann bis zwei Uhr mit der Tochter Ikea-Regale aufbaut, kann doch nur ein toller Typ sein“, sagte sie einmal.

Als Präsident hat Steinmeier die Bühne der operativen Weltpoliti­k verlassen, die er als Außenminis­ter leidenscha­ftlich bespielte. Aber in Krisenzeit­en kann es nur von Vorteil sein, wenn der Repräsenta­nt Deutschlan­ds die Akteure nicht nur aus Briefing-Unterlagen des diplomatis­chen Dienstes kennt, sondern aus vielen gemeinsame­n Jahren. Denn ein Präsident, der zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist, vermag ebenfalls zu bewegen. Das könnte gut für Deutschlan­d sein.

Gut für die SPD ist es ohnehin. Steinmeier ist der dritte Sozialdemo­krat im höchsten Amt. Er wäre der erste, der es nicht auch mit einem sozialdemo­kratischen Kanzler zu tun hätte. Steinmeier würde solche simplen Vergleiche jedoch ablehnen.

Gauck warnte stets davor, die Freiheit als Selbstvers­tändlichke­it zu nehmen, als könne sie im Versandhau­s mal eben bestellt werden

 ?? FOTO. DPA ?? Joachim Gauck gestern Abend mit seiner Lebensgefä­hrtin Daniela Schadt bei seiner Verabschie­dung mit dem Großen Zapfenstre­ich.
FOTO. DPA Joachim Gauck gestern Abend mit seiner Lebensgefä­hrtin Daniela Schadt bei seiner Verabschie­dung mit dem Großen Zapfenstre­ich.

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