Rheinische Post Ratingen

Museumszen­trum Krefeld-Linn

- VON PETRA DIEDERICHS

KREFELD Hätte Martin Luther vor 500 Jahren die Möglichkei­ten unserer Zeit gehabt, dann hätte er seine 95 Thesen womöglich gepostet. Und damit einen wilden Shitstorm ausgelöst. Wer die historisch­e Tür mit den angeheftet­en Thesenpapi­eren im Ausstellun­gssaal des Museums Burg Linn passiert, merkt schnell, dass genau das vor einem halben Jahrtausen­d geschehen ist. Das gesamte Rheinland war in Aufruhr: Der Glaube bot keine absolute Sicherheit mehr, die über Jahrhunder­te gelebten Gesetze der Kirche wurden in Frage gestellt, ihre Repräsenta­nten zur Zielscheib­e für theologisc­he Reformer und politische Machtstreb­er. Die Welt im 16. Jahrhunder­t war aus allen Fugen.

Luther war die Galionsfig­ur, aber die Reformatio­n hat viele Väter. Sie begann nicht am 31. Oktober 1517 an der Wittenberg­er Schlosskir­chentüre und endete nicht mit dem Augsburger Religionsf­rieden, der 1555 die Koexistenz von Luthertum und Katholizis­mus festlegte. Sie ist ein langwierig­er, schwierige­r und mit zahllosen Kämpfen verbundene­r Prozess.

Die Ausstellun­g „1517 – Krefeld und die Reformatio­n“, die Christoph Dautermann, stellvertr­etender Leiter des Museums Burg Linn, und der Sammler Ralf Stefan zusammenge­stellt haben, zeigt nicht nur das damals kleine Niederrhei­nStädtchen Krefeld, das im Kölnischen Krieg (1538-1588) fast ausgelösch­t wurde, sondern eine Welt im Glaubenskr­ieg.

Die Ausstellun­g beginnt mit Zeugnissen von frühen Reformatio­nsbestrebu­ngen, vor allem im Kölner Raum, und belegt in originalen Zeitdokume­nten, Kirchensch­ätzen und Tafeln mit historisch­en Einordnung­en, dass es nicht nur um Theologie und Seelenheil ging, sondern durchaus auch um politische Macht und weltlichen Besitz. Ein katholisch­er Pfarrer klagt in einem 47-seitigen Brief, wie ihn die reformatio­ns- bestrebten Grafen von Moers mit Auflagen piesaken, ihm mit Reformatio­nsprediger­n auf die Pelle rücken, damit er sich aus seiner Kirche zurückzieh­e.

Auch der Kölner Erzbischof Johann Gebhard Truchsess von Waldburg war ein Mobbingopf­er. Weil er sich in die protestant­ische Stiftsdame Agnes von Mansfield verliebte, wollte er aus dem Amt scheiden. Der calvinisti­sche Graf Adolf witterte seine Chance: Er drängte den Bischof zur Ehe. Dazu musste er konvertier­en – was wiederum eine neue protestant­ische Mehrheit im wichtigen Gremium, das den Kaiser wählte, bedeutet hätte. Da Truchsess aber nicht auf seine Ämter verzichten mochte, hat Papst Gregor XIII. ihn 1583 exkommuniz­iert. Das war der Auslöser für den Kölnischen Krieg. Zu den bedeutends­ten Ex- ponaten gehört die „Biblia Deudsch“von Martin Luther, die erste vollständi­g in deutscher Sprache veröffentl­ichte Bibel, ist ein sprachlich­es und ästhetisch­es Meisterwer­k mit prächtigen Holzschnit­ten von Lucas Cranach d. J., noch zu Lebzeiten Luthers 1541 in Wittenberg gedruckt. Sie ist eine von zwei Originalbi­beln aus dem Besitz des Krefelder Museums (die zweite ist für eine Reformatio­nsausstell­ung nach Essen ausgeliehe­n).

Der Karlsruher Virtuelle Katalog, die größte bibliophil­e Datenbank, kennt etwa drei Dutzend noch erhaltener Bibeln aus jener Zeit. Wie scharf Luthers Ton wurde gegen den „römischen Sitz des Antichrist“und die Sieben Sakramente, „durch welche Rom das ganze Leben der Christen an sich kette“, zeigen etliche Originalsc­hriften. Auch seine Geg- Museum Burg Linn Rheinbaben­straße 85. Ausstellun­g „1517 – Krefeld und die Reformatio­n“, bis August. Geöffnet dienstags bis sonntags, 11 bis 17 Uhr (ab 1. April 10 bis 18 Uhr) Telefon 02151 155390 Deutsches Textilmuse­um Andreasmar­kt 8. Ausstellun­g „Asia - Europe III. Fiber Art“, bis 2. April. Geöffnet dienstags bis sonntags, 11 bis 17 Uhr. Telefon 02151 9469450. ner – der schärfste war Johannes Eck (1486-1543) – formuliert­en nicht zimperlich. Zwingliane­r, Calviniste­n, Hugenotten, Mennoniten und Anglikaner, die sich in jenen Jahren abspaltete­n, befeuerten ebenfalls den Konflikt der Konfession­en.

Ein Kontrastpr­ogramm ist im benachbart­en Deutschen Textilmuse­um zu erleben. 35 Künstler aus Asien und Europa haben dort aus textilen Fasern, aber auch hauchdünne­n Drähten und Blattadern, die sie wie feinste Wolle verstricke­n, poetische Wandbilder und Objekte geschaffen.

Und im Jagdschlos­s von Burg Linn erklingt an jedem Sonntag Musik aus einer der größten Sammlungen mechanisch­er Musikinstr­umente in NRW – von der kleinen historisch­en Spieluhr bis zur volltönend­en Zimmerorge­l.

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