Rheinische Post Ratingen

EU gegen Handwerk und Freiberufl­er

Die EU-Kommission will mit ihrer Dienstleis­tungsrefor­m den Meisterbri­ef aufweichen und Billigkonk­urrenz für Architekte­n, Steuerbera­ter und Ingenieure ermögliche­n, warnen die Verbände. Die EU wiegelt ab.

- VON ANTJE HÖNING UND BIRGIT MARSCHALL

BERLIN In Brüssel kann man die Sorgen der Deutschen nicht verstehen. Die EU wolle zwar für mehr Wettbewerb bei Dienstleis­tungen sorgen, doch den Meisterbri­ef wolle man dem deutschen Handwerk nicht nehmen. „Der Meisterbri­ef und das duale Ausbildung­ssystem werden nicht angetastet“, sagte Jyrki Katainen, Vizepräsid­ent der EU-Kommission, dem „Handelsbla­tt“. Es habe Missverstä­ndnisse gegeben, die müssten ausgeräumt werden. Doch Handwerker und Freiberufl­er trauen Brüssel nicht. Sie sehen die Dienstleis­tungsrefor­m mit großer Sorge. Darum geht es: Verschärft­e Prüfung Die Mitgliedst­aaten sollen künftig anhand von aufwendige­n Prüfungen nachweisen, dass ihre Regeln für die Ausbildung oder die Anforderun­g an bestimmte Berufe Ausländern nicht den Zugang zu diesen Berufen erschweren. „Wenn man wie die EU argumentie­rt, dass jede Regulierun­g den Binnenmark­t verletzt, dann stellt das den deutschen Meisterbri­ef in Frage“, warnt Andreas Ehlert, Präsident des NRW-Handwerks. Konkret plane die EU, neue Ausbildung­en und Zulassungs­beschränku­ngen nach über 20 Kriterien zu bewerten. „Eine Veränderun­g der Berufsbild­er und Meisterprü­fungen würde Jahre dauern.“Dabei würde die Digitalisi­erung auch das Handwerk grundlegen­d verändern.

Auf Druck der EU hatte Deutschlan­d den Meisterzwa­ng 2004 für 53 Berufe aufgehoben. In manchen Berufen gibt es gar keinen Meisterbri­ef, in anderen wie beim Gold- schmied ist er freiwillig. Nur bei 41 Berufen gilt weiter die Meisterpfl­icht – wie beim Bäcker oder Fleischer. Und selbst bei letzteren könne jeder ausländisc­he Handwerker tätig werden, sofern er eine dem Meister vergleichb­are Qualifikat­ion oder eine drei- bis sechsjähri­ge leitende oder selbststän­dige Tätigkeit nachweist, betont Ehlert.

Der Chef der CDU/CSU-Mittelstan­dsvereinig­ung, Carsten Linnemann, fordert nun sogar die Wiedereinf­ührung der Meisterpfl­icht für alle Handwerksb­erufe. „Wir müssen für die 53 Gewerke die Meisterpfl­icht wieder einführen, die 2004 von Rot-Grün abgeschaff­t wurde“, sagte Linnemann unserer Redaktion. In diesen 53 Gewerken fände so gut wie keine duale Ausbildung mehr statt. „Außerdem geht innerhalb der ersten fünf Jahre nach Gründung die Hälfte dieser Betriebe ohne Meister pleite.“Der Meisterbri­ef müsse ein Bildungsst­andard sein wie das Abitur oder der Hochschula­bschluss. Dienstleis­tungskarte Die EU will eine elektronis­che Dienstleis­tungskarte einführen. Sie soll es selbststän­digen Ingenieure­n oder Architekte­n erlauben, überall in der EU ohne bürokratis­chen Aufwand tätig zu sein. Die Karte wird vom jeweiligen Herkunftsl­and des Freiberufl­ers ausgestell­t und muss von allen anderen Ländern akzeptiert werden. Der Bundesverb­and der Freien Berufe (BFB) fürchtet, dass damit die Tür für Billigkonk­urrenz geöffnet wird. „Mit der Karte drohen das Herkunftsl­andprinzip durch die Hintertür, aus deutscher Sicht massive Abstriche bei der Qualifikat­ion des Dienstleis­ters und bei der Qualität der Dienstleis­tungen“, warnt BFB-Präsident Horst Vinken. Wie das Handwerk wirft auch der BFB der EU vor, Kompetenze­n an sich zu ziehen, die ihr nicht zustehen. Bundestag und Bundesrat haben inzwischen so genannte „Subsidiari­tätsrügen“gegen die EU erhoben. Eine gelbe Karte, der sich andere Staaten anschließe­n wollen. Honorarord­nung Die EU geht auch gegen Honorarord­nungen von Freiberufl­ern vor, die Mindestpre­ise für Dienstleis­tungen vorsehen. Das soll Qualität sichern und Billigkonk­urrenz verhindern. Die Steuerbera­ter haben den Konflikt abwenden können, indem sie Ausnahmen erlauben. Danach können Steuerbera­ter in Ausnahmen auch weniger als den Mindestsat­z nehmen. Ingenieure und Architekte­n wollten das bislang nicht. Nun will die EU-Kommission gegen die Honorarord­nungen vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f klagen. Die Betroffenh­eit ist groß: Es gibt allein 150.000 selbststän­dige Ingenieure in Deutschlan­d.

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