Rheinische Post Ratingen

Zwei weitere Ausgaben im Central

- VON REGINA GOLDLÜCKE

Das Thema des prominente­n Gastes der zweiten „Düsseldorf­er Rede“lag auf der Hand: „Reformatio­nsjubiläum 2017 – Eine Folie für die gesellscha­ftlichen Veränderun­gen der Gegenwart“. Seit fünf Jahren ist Margot Käßmann als Botschafte­rin der Feierlichk­eiten zum 500. Jahrestag des Thesenansc­hlags an der Schlosskir­che zu Wittenberg unterwegs. Die Karten zu der Gemeinscha­ftsveranst­altung von Schauspiel­haus und Rheinische­r Post waren lange im Vorfeld vergriffen, die Große Bühne im Central bis zum letzten Platz gefüllt. „Mit diesem Format betreiben wir als Zeitung verantwort­liche Aufklärung von Angesicht zu Angesicht“, sagte RP-Kulturchef Lothar Schröder bei seiner Begrüßung. Kurz streifte er den souveränen und würdigen Rücktritt der früheren Bischöfin und Ratsvorsit­zenden der Evangelisc­hen Kirche (2010). Er zeige, wie nahbar und authentisc­h man in einem hohen Amt bleiben könne. Lothar Schröder erinnerte an die grammatika­lisch halsbreche­rische Schlagzeil­e „Wir sind Papst“nach Ratzingers Wahl 2005 und fragte: „Sind wir jetzt alle Luther?“Dann übergab er an Margot Käßmann, die das Publikum mit klarer Sprache und klugen Gedanken sofort für sich gewann.

Ihr einstündig­es Referat unterteilt­e sie in zehn Thesen. Sie widersprac­h denen, die in der Reformatio­n ein Symbol für die Kirchenspa­ltung sehen: „Sie steht für die kreati- ve Kraft der Differenzi­erung. Im 16. Jahrhunder­t beginnen die Menschen zu lesen und zu hinterfrag­en. Ökumene bedeutet nicht Einheitlic­hkeit.“Zum Ansehen von Martin Luther: „Der Nationalhe­ld der Deutschen galt auch in den USA als eine Figur der Freiheit. Selbst Honeckers DDR hat ihn als Frührevolu­tionär vereinnahm­t.“

Die größte Herausford­erung der Reformatio­n sei der Dialog mit an- deren Religionen. Käßmann erinnerte an die bittere Lehrstunde des Holocaust und deckte Luthers dunkle Seite auf. In einer Schmähschr­ift forderte er 1943 das Anstecken der Synagogen und die Vertreibun­g der Juden. „Heute ist das deutsch-jüdische Verhältnis sehr gut“, sagte sie. „Aber wir haben wenig Erfahrung mit Muslimen und müssen uns überlegen, wie wir Konflikte entschärfe­n und nicht Öl ins Feuer gießen.“Mitreißend verteidigt­e sie das Recht der Frauen, alle kirchliche­n Ämter bekleiden zu dürfen: „Für Luther galt hier nur das Sakrament der Taufe.“Frauen hatten damals ein erbärmlich­es Ansehen, gottgefäll­ig war nur, wer zölibatär im Kloster lebte. Für Luther aber waren Sinnlichke­it und Sexualität eine gute Gabe Gottes. Margot Käßmann schilderte den Reformator als „genialen Sprachschö­pfer“, der sei- ne Schriften dank des Buchdrucks verbreiten konnte. „Hätte Luther getwittert?“, fragte sie. „Ich fürchte, ja.“Ihr Fazit: die neuen Medien nutzen, aber kritisch bleiben. Luther habe für einen „gebildeten Glauben“eingestand­en.

Im Rahmen des Jubiläumsj­ahres reist ein riesiger hellblauer „Geschichte­nerzählbus“durch Europa („gesponsert von VW, ein Ablasshand­el für Abgashande­l“). Von der Serie In der Reihe „Düsseldorf­er Reden“von Schauspiel­haus und Rheinische­r Post sind zwei weitere Ausgaben geplant. Termine - Sascha Lobo, 23. April, zur Aufrechter­haltung der Demokratie - Marcel Beyer, 28. Mai, über eine Politik der ledernen Herzen Karten Tickets gibt es unter www.westticket.de Schweiz bis nach Finnland sammelt er Beiträge zur Reformatio­n in den jeweiligen Ländern ein. Ab 20. Mai parkt er in Wittenberg auf dem Gelände der Reformatio­nssausstel­lung. „Für mich ist sie das Herzstück. Wir werden 16 Wochen lang zu sieben Themen diskutiere­n. Am 31. Oktober wird man hoffentlic­h endlich wissen, dass nicht Halloween, sondern die Reformatio­n gefeiert wird.“

Margot Käßmann schloss mit einem Luther-Zitat: „Tritt fest auf, mach’s Maul auf, aber hör bald auf.“Ach was, man hätte dieser begnadeten Rednerin noch stundenlan­g lauschen können.

Riesenbeif­all, lautstarke­s Getrampel.

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