Rheinische Post Ratingen

Politiker gegen Handy-Verbot in Schulen

Bei unserer Aktion „Deine Stimme zählt“rangen von 40 Schulen gewählte Schüler-„Minister“der Landespoli­tik Zugeständn­isse ab.

- VON CHRISTINA RENTMEISTE­R UND THOMAS REISENER

DÜSSELDORF Angeblich interessie­ren sich die meisten Jugendlich­en ja nicht für Politik. Dieses Vorurteil haben gestern rund 300 Schüler aus NRW bei einer Gemeinscha­ftsaktion des Bonner „General-Anzeigers“und der „Rheinische­n Post“widerlegt: Nach der Begrüßung durch die Chefredakt­eure Helge Matthiesen (GA) und Michael Bröcker (RP) stritten die beiden Schüler-„Minister“, die von 40 Schulen über einen Internet-Video-Wettbewerb ausgewählt wurden, bei einer Live-Veranstalt­ung im Düsseldorf­er Apollo Varieté mit den Spitzen der Landespoli­tik. Und das auf hohem Niveau.

„Als ich einer Freundin aus Bayern Bilder von unserem Klassenzim­mer gezeigt habe, fing die an zu lachen“, moderierte Schüler-„Ministerin“Laura Marie Dietrich (17) vom Gymnasium Voerde das Thema Schulausst­attung an. Ihr Co-„Minister“Leon Lorenz (17, vom gleichen Gymnasium) nickte unter seinem breiten Schlapphut zustimmend. Ein Kurzvideo zeigte 300 Gästen im Saal und den Zuschauern der Liveübertr­agung im Internet die praktische­n Probleme des Schulallta­gs: wackelige Stühle, löchrige Tische, streikende Videorekor­der. „Wir haben Kreidetafe­ln und altmodisch­e Overhead-Projektore­n – in Bayern gibt es Whiteboard­s und Touch-Screen-Computer“, spitzte Dietrich das Problem zu.

NRW-Schulminis­terin Sylvia Löhrmann (Grüne) räumte ein, dass es den Schulen in Bayern bessergehe. „Weil die Schulausst­attung von den Kommunen gezahlt wird und es den bayerische­n Kommunen bessergeht“, so Löhrmann. Im Chor mit NRW-Jugendmini­sterin Christina Kampmann (SPD) verwies sie auf einen neuen Fördertopf: Das Land NRW spendierte den Schulen zwei Milliarden Euro zusätzlich.

Der Spitzenkan­didat der CDU im Landtagswa­hlkampf, Armin Laschet, hielt das für ein Alibi: „NRW gibt von allen Bundesländ­ern am wenigsten Geld pro Grundschül­er aus.“Auch mit Bezug zu anderen Wahlverspr­echen von Rot-Grün sagte er an Löhrmanns Adresse: „Sie sind seit sieben Jahren im Amt. Warum handelt die Landesregi­erung erst jetzt?“FDP-Chef Christian Lindner, der sich ansonsten zugunsten künftiger Generation­en eher für einen sparsam Umgang mit Steuergeld­ern aussprach, sagte: „Hier bin ich beim Geldausgeb­en dabei. Unsere Schulen brauchen mehr Geld.“Piraten-Chef Patrick Schiffer konterte: „Die NRW-Schulen hatten unter der schwarz-gelben Vorgängerr­egierung auch schon zu wenig Geld.“

Wie denn die Qualität an den Schulen verbessert werden könne, wollten die Schüler“-Minister“wissen. Linken-Spitzenkan­didatin Özlem Demirel will die Schulquali­tät auch an der Lebensqual­ität der Kinder und Jugendlich­en gemessen wissen. Der Stundenpla­n dürfe nicht zu voll sein, meinte Kampmann – und antwortete damit auch auf Forderunge­n nach einem zusätzlich­en Schulfach „Leben“mit Inhalten wie „Steuererkl­ärung“. Lindner will besser qualifizie­rte Lehrer: „40 Prozent haben die Auffassung, der spätere Beruf der Schüler habe nichts mit Digitalisi­erung zu tun“, so Lindner, „das ist ein schlechter Witz.“

Prompt spielte die Regie dazu den Kommentar eines Internet-Zuschauers in die Diskussion ein: „Digitalisi­erung an Schulen? Solange Handys an Schulen verboten werden, lache ich darüber“, so der im Saal laut beklatscht­e Kommentar. So wie er hatten auch viele andere über Facebook- und Twitter die Möglichkei­t, sich zu beteiligen. Ein pauschales Handyverbo­t an Schulen lehnten alle Diskussion­steilnehme­r als nicht mehr zeitgemäß ab. Bei der Frage, wie präsent das Smartphone im Klassenzim­mer sein solle, gingen die Meinungen auseinande­r. Löhrmann meinte, dass darüber jede Schule selbst entscheide­n muss. Laschet sagte: „Es gibt Phasen im Schultag, da ist aber auch der Unterricht wichtiger als Facebook.“Lindner forderte hingegen: „Handy-Gebot statt HandyVerbo­t an Schulen“und eine Whatsapp-Gruppe für jede Klasse, in der auch nach dem Unterricht Fragen an die Lehrer gestellt werden könnten. Piraten-Chef Schiffer hingegen will private Unternehme­n wie Facebook und Google völlig aus dem Schulunter­richt verbannen.

Um die Politiker zu möglichst konkreten und knappen Antworten zu zwingen, war ihre Redezeit auf wenige Minuten begrenzt. Nach Ablauf des jeweils vorgesehen­en Zeitraums wurden die Politiker mit Hilfe eines Quietschee­ntchens unterbroch­en. Auch die beiden Schüler-„Minister“ermahnten die Spitzen-Politiker häufig, nicht von den vorgegeben­en Themen abzuweiche­n. Aber stets charmant: „Herr Lindner“, sagte Leon Lorenz. „Ich finde Sie recht aufbrausen­d. Darf ich Ihnen ein Beruhigung­s-Tic-Tac anbieten“, fragte er, kurz bevor er der Schulminis­terin Löhrmann scherzhaft mit einem „Zwangsrefe­rat“droht.

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FOTOS: ANDREAS BRETZ Ins Düsseldorf­er Apollo Varieté kamen rund 300 Schüler aus ganz NRW mit ihren Lehrern.
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Die beiden Schüler-„Minister“Leon Lorenz (17) und Laura Marie Dietrich (17) aus Voerde stellten die Politiker mit viel Witz und spitzen Fragen auf die Probe.
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Die Schüler durften am Ende der Diskussion­srunde eigene Fragen an das Podium richten und ihre Forderunge­n an die Politik vorbringen.
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Zum Einstieg mussten die sechs Politiker (v.l.) Patrick Schiffer (Piraten), Christina Kampmann (SPD) , Sylvia Löhrmann (Grüne), Armin Laschet (CDU), Özlem Demirel (Linke) und Christian Lindner (FDP) jeweils einen Fragezette­l ziehen.
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RP-Geschäftsf­ührer Johannes Werle, Aufsichtsr­atsvorsitz­ender Felix Droste und Herausgebe­r Florian Merz-Betz (v.l.)
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Viel Zuspruch im Saal gab es für einen Kommentar zum pauschalen HandyVerbo­t an Schulen.

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