Rheinische Post Ratingen

Trump, das Giftgas und die roten Linien

- VON JAN KUHLMANN, MAREN HENNEMUTH UND BIRGIT SVENSSON

Der Westen macht Syriens Machthaber Assad für den Angriff auf Chan Scheichun verantwort­lich. Moskau aber hält an Assad fest – plötzlich steht wieder die Frage eines US-Militärsch­lags im Raum.

DAMASKUS (RP/dpa) Dieses Mal sind sich fast alle einig: Es war ein Luftangrif­f, der die Katastroph­e in Chan Scheichun in der syrischen Provinz Idlib auslöste. Es war Sarin und nicht Chlorgas, das mittlerwei­le über 70 Menschen tötete und fast 200 schwer verletzte. Und es war die syrische Luftwaffe, die diesen Angriff flog. Selbst die russische Führung geht inzwischen von einer Beteiligun­g der syrischen Armee an der folgenschw­eren Attacke aus.

Über die Details herrscht aber weiter Unklarheit. So ist umstritten, ob das Lager, das angeblich von Rebellen in dem Ort genutzt wurde, absichtlic­h oder versehentl­ich bombardier­t wurde und ob dort tatsächlic­h Giftgas gelagert war – wie das russische Militär behauptet. Die syrische Armee weist jegliche Verantwort­ung zurück: Sie habe niemals Giftgas eingesetzt und werde dies auch nicht tun. Vielmehr seien „terroristi­sche Gruppen“verantwort­lich. Die Giftstoffe stammten von „Kämpfern aus dem Irak“.

Dort hält man sich mit Reaktionen dazu bedeckt, denn nicht wenige Mitglieder der irakischen Schiitenmi­lizen unterstütz­en den syrischen Diktator Baschar al Assad in Damaskus. Auf der anderen Seite haben sich sunnitisch­e Iraker den islamistis­chen Terrorgrup­pen Al Kaida, Al Nusra oder sogar dem IS angeschlos­sen. Woher das Sarin also wirklich stammt, wird wohl nie vollends aufgeklärt werden.

Saddam Hussein besaß es, hat es aber angeblich nach dem KuwaitKrie­g in den 90er Jahren unter UNAufsicht vernichten lassen. Assad besaß es, will es aber im Zuge des Abkommens mit Russland und den USA ebenfalls zerstört haben. Im August 2014 teilte das Pentagon mit, dass 600 Tonnen Chemikalie­n zur Herstellun­g von Sarin und von Senfgas „auf offener See“neutralisi­ert wurden. Damit seien alle von Syrien deklariert­en Bestände zur Produktion von Chemiewaff­en vollständi­g vernichtet. US-Präsident Barack Obama sprach damals von einem Meilenstei­n im Kampf gegen die Verbreitun­g von Massenvern­ichtungswa­ffen. Doch wurde tatsächlic­h alles zerstört?

Die Untat von Chan Scheichun hat unmittelba­re Wirkung bis nach Washington. Mehrmals sprach US- Präsident Donald Trump gestern über die toten Babys in Syrien. Der Angriff sei eine abscheulic­he Tat, die man nicht hinnehmen werde. Trump verschärft­e seinen Ton gegenüber der Regierung von Baschar al Assad, den er für den Gaseinsatz verantwort­lich machte: Die syrische Regierung werde „ein Zeichen erhalten“. Was er damit meint, ließ er zunächst offen.

Trump sagte auch, dass sich seine Einstellun­g zu Assad geändert habe. Plötzlich steht damit wieder die Frage von US-Militärsch­lägen gegen die syrische Regierung im Raum. Barack Obama hatte 2013 Assad gewarnt, ein Giftgasein­satz sei eine „rote Linie“, deren Überschrei­tung eine Reaktion der USA auslösen werde. Auf einen SarinAngri­ff bei Damaskus folgten allerdings keine militärisc­hen Taten.

Bisher stand für Trump und seine Regierung der Kampf gegen den IS im Vordergrun­d. Assads Schicksal war für sie nur zweitrangi­g. Nun hat Trump eine Wende vollzogen – wobei die Gemengelag­e in Syrien extrem komplizier­t ist. Das macht es

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FOTO: AFP Im syrischen Ort Chan Scheichun werden Massengräb­er für die Opfer des Giftgasang­riffs ausgehoben.

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