Rheinische Post Ratingen

Billiger als Bangladesc­h

Äthiopien zählt zu den ärmsten Ländern der Welt. Für die Textilindu­strie wird der afrikanisc­he Staat immer interessan­ter.

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ADDIS ABEBA (dpa/kna) Staaten wie Indien, Bangladesc­h und Sri Lanka waren lange die Superbilli­g-Standorte der Textilindu­strie. Jetzt dienen sich der Branche neue Niedrigloh­nländer an: Äthiopien, Haiti, Kambodscha und Myanmar. Oft verdienen Firmen aus den „alten“Textilstaa­ten dort mit. Chinesen und Türken sind schon in Äthiopien. Auch Textilfirm­en aus Indien und Bangladesc­h, deren Kleidung auch in Deutschlan­d landet, haben in dem ostafrikan­ischen Land die ersten Pflöcke eingeschla­gen.

Eine von ihnen ist die indische Firma Jay Jay, die an ihren alten Standorten in Südindien, Sri Lanka und Bangladesc­h rund 70.000 Arbeiter beschäftig­t. In Äthiopien, wo der Monatslohn für angelernte Textilarbe­iter bei umgerechne­t etwa 50 Euro und damit noch unter dem Niveau von Bangladesc­h liegt, ist Jay Jay seit zwei Jahren im Geschäft.

Die Firma beschäftig­t in Äthiopien etwa 1800 Menschen, Tendenz steigend. Die Jay-Jay-Fabrikhall­e liegt im Industriep­ark Bole Lemi vor den Toren der Hauptstadt Addis Abeba. In der modernen Halle herrscht ohrenbetäu­bender Lärm. Maschinen rattern, Vorarbeite­r rufen Kommandos. Mehr als 300 Frauen stehen hier pro Schicht hinter hohen Tischen.

Acht Stunden pro Tag nähen sie Leibchen und Strampler aus Baumwolle. Der Großteil der Baby-Bekleidung, die in dem neuen Industriep­ark vor den Toren von Addis Abeba hergestell­t wird, geht in die USA und nach Europa. „Etwa fünf Prozent der Produktion ist für Deutschlan­d bestimmt“, erklärt der Fabrikdire­ktor. M. Balasubram­aniyam steht auf seiner Visitenkar­te. Für die Arbeiterin­nen, die hier schuften, ist er unaussprec­hlich.

Äthiopien hat insgesamt etwa 100 Millionen Einwohner und zählt zu den ärmsten Staaten der Welt. Die Regierung hofft, dass zu den aktuell knapp 50.000 Beschäftig­ten im Textilsekt­or in den kommenden vier Jahren weitere 350.000 Arbeiter hinzukomme­n. Zwar hat das Land keinen Zugang zum Meer. Doch dafür bietet der Staat im Vergleich zu den meisten seiner Nachbarsta­aten ein gewisses Maß an politische­r Stabilität.

„Wir schicken unsere Produkte für den Export zum Hafen nach Dschibuti“, erklärt der Fabrikdire­ktor. Zu den Kunden des Unternehme­ns, das 1971 im indischen Bundesstaa­t Tamil Nadu gegründet wurde, zählt auch H&M. Der schwedisch­e Textilhand­elskonzern bezieht auch über andere Zulieferer wie die bangladesc­hische DBL Group Ware aus Äthiopien. DBL fertigt in Äthiopien auch für den deutschen Textildisc­ounter kik.

Mit Bangladesc­h verbindet man in der Branche nicht nur niedrige Löhne, sondern auch brutale Arbeitsbed­ingungen, Brände und den Einsturz der Rana-Plaza-Textilfa- brik 2013. Dabei waren 1138 Textilarbe­iter ums Leben gekommen. Die Katastroph­e war Auslöser für verschiede­ne Initiative­n zum Schutz der Arbeiter im Textilsekt­or. Eine davon ist das von Bundesentw­icklungsmi­nister Gerd Müller (CSU) initiierte Textilbünd­nis für Sozialstan­dards und Umweltschu­tz. In Äthiopien entstünde die Chance, das richtig zu machen, was in Bangladesc­h falsch gelaufen sei, sagte Müller nach dem Besuch der Fabrik. Bei seiner Afrika-Reise kündigte er an, dass sein Ministeriu­m mit H&M und DBL in Äthiopien ein Berufsbild­ungszentru­m für Textilarbe­iterinnen aufbauen werde. Zwei Millionen Euro soll das Projekt kosten, die eine Hälfte steuern die Unternehme­n bei, die andere das Ministeriu­m. „Wir haben in Bangladesc­h einige üble Lektionen gelernt, die wir nicht wiederhole­n müssen“, sagt H&M-Manager Tobias Fisher.

Näherinnen wie Yenewark Tesfa (22) sind froh, bei Jay Jay einen Job gefunden zu haben. Doch sie sagt auch: „Das Geld reicht nicht.“Tesfa hat deswegen einen Traum: Ein eigenes kleines Geschäft.

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FOTO: DPA Eine Arbeiterin näht in der äthiopisch­en Hauptstadt Addis Abeba in einer modernen Textilfabr­ik Kinderwäsc­he.

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