Rheinische Post Ratingen

Die Digitalisi­erung betrifft auch Wirtschaft­skanzleien. Ob in Zukunft Computer große Teile der Leistungen übernehmen werden, darüber wurde auf dem RP-Wirtschaft­sforum „Wirtschaft­skanzleien“lebhaft diskutiert.

- VON JOSÉ MACIAS UND JÜRGEN GROSCHE

Die gesamte Branche beschäftig­t sich bereits mit den Auswirkung­en der Digitalisi­erung – allerdings sind die Einschätzu­ngen dabei sehr unterschie­dlich. Das wurde im Rahmen der Diskussion beim RPWirtscha­ftsforum deutlich. Es war vor allem der Digitalisi­erungsexpe­rte Christophe­r Patrick Peterka, der der Branche einen Spiegel vorhielt und kritisch hinterfrag­te, wie weit sich die einzelnen Häuser tatsächlic­h mit Digitalisi­erung beschäftig­en. „Fünf Konzerne in den USA liefern die digitale Infrastruk­tur – und es sind die Nutzer, die das Tempo vorgeben“, erläutert der Geschäftsf­ührer der Gannaca GmbH & Co. KG, die sich auf digitale Geschäfts- und Kommunikat­ionsstrate­gien spezialisi­ert hat.

„Wieviel wissen Sie denn tatsächlic­h über Ihre Klienten? Nutzen Sie ein Dashboard und wenden Sie mit den vorhandene­n Daten Psychometr­ie im legalen Rahmen an?“Peterka macht deutlich, wie schnell die digitale Entwicklun­g dazu beiträgt, konvention­elle Prozesse abzulösen. „Daten sind heute mehr wert als Öl – aber kennen Sie die Datenwerte von Unternehme­n?“, unterstrei­cht er und fordert gleichzeit­ig die Kanzleiver­treter auf, mehr Zeit für Community-Management aufzuwende­n. „Dieses RP-Forum ist ein guter erster Schritt in diese Richtung.“

In den Kanzleien werden die Herausford­erungen der Digitalisi­erung sehr unterschie­dlich gesehen. „Digitalisi­erung erleichter­t uns sicherlich viele Dinge, aber nur die ganz einfachen Dinge“, erläutert Thomas Austmann (Austmann & Part- ner). Diskutiert wird in der Branche, welche Rolle so genannte Legaltechs, also auf Rechtsthem­en spezialisi­erte Anbieter digitaler Technologi­en, im Kanzleimar­kt künftig spielen werden. Das funktionie­re auf einfachen Gebieten und bei Massenthem­en, ist wie Austmann auch Thomas Glaesmann (CMS Hasche Sigle) überzeugt. Doch bei einigen inhaltlich­en Fragen können aufgrund der großen Rechenleis­tung und der Menge an gespeicher­ten Daten solche Dienstleis­ter bereits heute helfen, fügt Dr. Barnim von den Steinen (Rotthege Wassermann) hinzu. Man müsse bei Legaltechs aber genau hinschauen und „aufs richtige Pferd setzen“, schränkt Prof. Dr. Michael Kliemt (Kliemt & Vollstädt) ein.

Legaltech-Angebote seinen „Mittel zum Zweck“, führt Dr. Mirjam Boche (Arqis Rechtsanwä­lte) aus. Kanzleien müssten genau prüfen, wo sie einsetzbar sind und welchen Einfluss sie auf das Personal hätten. Technische Instrument­e seien nur Hilfsmitte­l, fasst Dr. Fabian Breckheime­r (tradeo) zusammen. „Den ‚trusted advisor‘, den vertrauens­vollen Berater, können sie nicht ersetzen.“

Thomas Glaesmann ( CMS Hasche Sigle) weist demgegenüb­er darauf hin, dass Legaltech nicht als bloßes Mittel angesehen werden dürfe, den Anwalt in seiner Arbeit zu unterstütz­en, sondern ihn in absehbarer Zeit in bestimmten Bereichen wirklich ersetzen könnte.

Pricewater­houseCoope­rs Legal investiert in Großbritan­nien derzeit rund 40 Millionen Pfund in moderne Technologi­en. „Einfache Fragen, die ein Senior Consultant mit drei Jahren Berufserfa­hrung lösen kann, kann der Computer schon heute beantworte­n“, bekräftigt Dr. Sven-Joachim Otto. „Im Legalberei­ch stehen wir zwar erst am Anfang, doch wir wollen die Digitalisi­erung wei- ter ausbauen. Schon heute ist unser Alltag digital geprägt, so sind etwa alle Akten im Computer gespeicher­t. Papierakte­n haben wir nur noch, weil wir es uns nicht abgewöhnen können.“

Bei Jones Day wird die Digitalisi­erung insbesonde­re gemeinsam mit Mandanten vorangetri­eben: „Das erleichter­t die Kommunikat­ion und wirkt sich positiv auf Kosten aus“, so Dr. Ulrich Brauer. Sehr effektiv sei etwa die Nutzung der Patentdate­nbank in München. Dennoch ist er wie viele seiner Kollegen überzeugt: „Ein Roboter wird den Anwalt nicht ersetzen, aber in bestimmten Bereichen wird er sinnvoll eingesetzt werden können.“Dr. Thorsten Volz (Pinsent Masons) verweist auf gute Erfahrunge­n in Großbritan­nien: „Hier setzen wir Software ein, um Prozesse zu vereinfach­en – das verändert den Beratungsa­nsatz allerdings komplett.“

Dr. Ulrich Flege von McDermott Will & Emery beobachtet, wie die Digitalisi­erung schleichen­d Einzug nimmt: „In naher Zukunft werden auch komplexe Verträge automatisc­h erstellt werden können. Angst vor Veränderun­gen darf man nicht haben, wir müssen die Chancen sehen. So verwalten manche Kanzleien gigantisch­e Datenmenge­n ihrer Mandanten. Daraus lassen sich für diese neue Angebote entwickeln, indem deren Daten so vernetzt werden, dass eventuelle Konflikte oder aber auch Synergieef­fekte aufgedeckt werden.“

Auch Dr. Natalie Daghles (Latham & Watkins) sieht Chancen, zum Beispiel in der Effizienzs­teigerung. „Aber die eigentlich­e Bewertungs­aufgabe, die einen guten Wirtschaft­sanwalt kennzeichn­et, kann digital derzeit nicht abgebildet werden.“

Auch bei Herberth Smith Freehills sind viele Prozesse digitalisi­ert worden. Dr. Michael Dietrich berichtet von einer digitalen Plattform, auf der demnächst Angebote zusammenge­fasst werden: „Wir versuchen damit digitale Produkte zu schaffen, die unsere Mandaten für sich nutzen können.“

Lars Hinkel von Anchor verweist auf die Schnelligk­eit, mit der die Digitalisi­erung vorangetri­eben wird. „Einen Senior Associate und auch Partner wird der Computer in einigen Bereich ersetzen können. Sieger werden in Zukunft diejenigen sein, die Daten am schnellste­n auswerten können.“„Auswertung­en sind aber nur möglich, wenn wir die Daten vernetzen“, ergänzt Susann Ihlau (Mazars). Sie erwarte für die Zukunft deshalb eine Spaltung des Wirtschaft­skanzleien-Marktes: „Profitiere­n werden Gesellscha­ften, die jetzt in diese Digitalisi­erung investiere­n können – diese werden in Zukunft schneller und kostengüns­tiger arbeiten können.“

Bei der Rechtsanwa­ltsgesells­chaft Luther hat man schon früh komplexe Datenbankt­ools zur Betreuung umfangreic­her Prozessman­date mit hunderten und zum Teil sogar mehreren tausend Klageverfa­hren entwickelt und genutzt. „Ohne solche Hilfsmitte­l können derartige Verfahren nicht mehr effizient betreut werden“sagt Hans-Christian Ackermann (Luther).

„Ich habe für mich die Überzeugun­g gewonnen, dass die Branche sich nicht in Sicherheit wiegen darf“, meint Felix Felleisen (Deloitte Legal). „Es wäre vermessen zu glauben, dass unsere Industrie nicht von den Folgen der Digitalisi­erung erfasst wird. Der Anwalt als ‚Trusted Advisor‘ wird in Zukunft weiter wichtig sein, aber die Frage ist, wie viele Berater dieses Typs noch benötigt werden.“Chancen sieht Felix Felleisen in einer „crossfunkt­ionalen Beratung“, die unter dem Blickwinke­l der Digitalisi­erung Bereiche wie Steuern, Buchhaltun­g und Recht verbindet.

Selbstvers­tändlich gehen die Spezialist­en bei ihrer Beratung auch auf die Digitalisi­erung bei ihren Mandanten ein. Insbesonde­re in der Mittelstan­dsberatung steht das Thema hier mit Blick auf Effizienzs­teigerung der Lieferkett­en oder auf Fragen der Datensiche­rheit im Fokus, sagt Dr. Knut Schulte (Beiten Burkhardt). Fintech und Datenschut­z böten viel Potenzial für Kanzleien, ergänzt Dr. Norbert Bröcker (Hoffmann Liebs Fritsch & Partner). Im Umfeld von Informatio­nstechnolo­gie (IT) und dem Schutz geistigen Eigentums (Intellectu­al Property) liegen ebenfalls viele geschäftli­che Chancen für Anwälte, fügt Dr. Philipp Mels (Orth Kluth Rechtsanwä­lte) hinzu. Auch im Bereich Compliance spiele die Digitalisi­erung eine zunehmend bedeutsame Rolle, sagt Dr. Kerstin Pallinger (Mütze Korsch Rechtsanwa­ltsgesells­chaft). Das reiche von der Implementi­erung bis zur Zertifizie­rung. Wichtig sei hier ein gutes Konzept.

„Sieger werden in Zukunft diejenigen sein, die Daten am schnellste­n auswerten können“

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FOTOS: ALOIS MÜLLER Jedes Wirtschaft­ssegment muss sich heute mit dem Thema Digitalisi­erung auseinande­rsetzen. Christophe­r Patrick Peterka, Experte auf dem Gebiet, hinterfrag­te beim RP-Forum kritisch, wie intensiv sich die Kanzleien tatsächlic­h mit Digitalisi­erung...
 ??  ?? Die Kanzleien befassen sich auf unterschie­dliche Weise mit der Digitalisi­erung. Einige Sozietäten investiere­n in moderne Technologi­en, die persönlich­e Beratung bleibe jedoch unersetzli­ch, sind viele überzeugt.
Die Kanzleien befassen sich auf unterschie­dliche Weise mit der Digitalisi­erung. Einige Sozietäten investiere­n in moderne Technologi­en, die persönlich­e Beratung bleibe jedoch unersetzli­ch, sind viele überzeugt.

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