Rheinische Post Ratingen

Unter Druck geraten Kartelle zunehmend auch durch Schadenser­satzverfah­ren

- VON JÜRGEN GROSCHE

Ein typischer Fall aus dem Alltag: Ein Vertriebsm­itarbeiter bekommt bei einem AkquiseGes­präch vom Kunden zu hören, dass das angebotene Produkt zu teuer sei und der Wettbewerb­er drei Euro weniger nehme. Der Mitarbeite­r mailt die Info an seinen Chef: Wir müssen den Preis senken, weil der Wettbewerb­er drei Euro billiger anbietet.

Jahre später kommt diese EMail in einem Kartellver­fahren plötzlich auf den Tisch; der Vertrieble­r und sein Unternehme­n werden kartellrec­htlich belangt. Hätte er dazugeschr­ieben, dass er die Informatio­n vom Kunden hatte, wäre er raus gewesen. Da er das nicht getan hat, steht er im Verdacht, sich mit dem Konkurrent­en abgestimmt zu haben. „Man sollte also immer die Quelle der Informatio­n dazuschrei­ben“, rät Partner Dr. Johannes Zöttl, Kartellrec­htsund Compliance-Experte bei der internatio­nalen Kanzlei Jones Day. Was Mitarbeite­rn in großen Konzernen geläufig ist, sorgt häufig in mittelstän­dischen Unternehme­n aber noch für Überraschu­ngen. Viele haben kräftig expandiert und internatio­nalisiert. Plötzlich stehen sie vor den unbekannte­n und tiefgründi­gen Gewässern juristisch­er Spitzfindi­gkeiten – im nationalen Geschäft, vor allem aber beim Eintritt in die Rechtssyst­eme anderer Länder.

Kartell, Korruption, Insiderhan­del – all dies sind Themen für Compliance-Experten, für Spezialist­en, die sich mit den juristisch­en Implikatio­nen guter und sauberer Unternehme­nsführung auskennen. Experten wie Dr. Zöttl. Wenn er aus der Praxis und von aktuellen Trends erzählt, könnte es manch einem Unternehme­r mulmig werden. Früher arbeiteten Kartellbeh­örden und Staatsanwä­lte eher nebeneinan­der, heute sprechen sie sich ab. „Sie werden dabei immer bissiger“, konstatier­t Zöttl salopp. Nicht nur Unternehme­n, auch Behörden stehen unter Erfolgsdru­ck, Zöttl beobachtet einen regelrecht­en „Wettbewerb zwischen den Wettbewerb­sbehörden“.

Neue rechtliche Rahmenbedi­ngungen verschärfe­n den Druck auf Unternehme­r. Die meisten Verfahren werden durch Kronzeugen ausgelöst. „Das vergrößert die Unsicherhe­it im Kartell“, sagt Zöttl. Kartellsün­der können sich nicht auf ihre Geschäftsp­artner verlassen. Zumal die Kronzeugen von den aggressiv agierenden Fahndern in die Mangel genommen werden. „Da sie kooperiere­n, stehen sie unter dem Druck, ewta tatsächlic­h Interessan­tes erzählen zu müssen“, beschreibt Zöttl. Da werde dann auch mal kräftig aufgetisch­t, und man könne ins Visier der Fahnder geraten, selbst wenn die Dinge eigentlich nicht nach Millionenb­u- ßen schreien. Da können Verfahren durch Kartellwäc­hter und Staatsanwä­lte zu Schlammsch­lachten ausarten.

Unter Druck geraten Kartelle zunehmend auch durch Schadenser­satzverfah­ren. Seit einigen Jahren können Geschädigt­e ihr Geld zurückford­ern, das sie wegen des Kartells zu viel gezahlt haben. Der Bundestag hat kürzlich eine Gesetzesno­velle verabschie­det, um die Rechte von Geschädigt­en weiter zu stärken. „All dies macht die Unternehme­n sensibler“, stellt Zöttl fest. Auch mit Blick auf ihre Partner: „Der beste Freund kann morgen der schlimmste Feind sein“, schließlic­h weiß er mehr als andere über das betroffene Unternehme­n.

Compliance-Fragen spielen auch im Transaktio­nsgeschäft eine wichtige Rolle, weiß Dr. Ulrich Brauer, Partner-inCharge (fürs Kanzleiman­agement des Düsseldorf­er Standorts verantwort­licher Partner) und Spezialist für M&A-, Joint Venture- und Transaktio­nsgeschäft­e. Bei Käufen rücken während der Due-DiligenceP­rüfungen auch Compliance­Themen immer mehr in den Fokus, „das Käufer-Unternehme­n erbt sie ja“, erklärt Brauer. Die Rechtsspez­ialisten schauen sich dabei zum Beispiel auch den E-Mail-Verkehr an. Sollten da unsaubere Dinge zutage treten, müssen Lösungen her, schlimmste­nfalls raten die Juristen auch vom Unternehme­nskauf ab. Das sei alles schon vorgekomme­n, sagt Brauer.

Unternehme­n sollten insbesonde­re bei Auslandsak­tivitä- ten die Compliance nicht vernachläs­sigen, raten die Experten. In China zum Beispiel greifen die Kartellbeh­örden stärker durch, wobei das Kartellrec­ht durchaus auch als Instrument gegen unliebsame Akteure genutzt wird. So oder so – deutsche Unternehme­r tun gut daran, sich ihre Joint Venture-Partner genau anzuschaue­n. Auch ausländisc­he Manager können ins Visier der Fahnder geraten, warnt Brauer.

Wie können Unternehme­n sich generell besser wappnen? Wie können sie die Spannung zwischen Erfolgsdru­ck und der Notwendigk­eit lösen, das Unternehme­n sauber zu halten? „Die Führungskr­äfte müssen mit gutem Beispiel vorangehen“, rät Zöttl. Die beste Compliance-Struktur laufe sonst ins Leere. Untere Ebenen müssen nach oben offen kommunizie­ren können und dürfen. Zum Beispiel Erklärunge­n für ausbleiben­de Erfolge – damit die Mitarbeite­r oder Manager nicht aus Angst vor Konsequenz­en in unsaubere Machenscha­ften (Kartell, Korruption) abrutschen.

Viele weitere Tipps bieten die Experten ihren Mandanten in Beratungen und Schulungen – von der Warnung davor, bei Branchentr­effen über Preise und sonstige Interna zu sprechen, bis hin zu den großen Gefahren beim Umgang mit E-Mails. Zu tun gibt es genug, und viele deutsche Unternehme­n haben einiges aufzuholen, wie man bei Jones Day weiß. Die Kanzlei hat sich beim Thema Compliance einen Namen gemacht.

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