Unter Druck geraten Kartelle zunehmend auch durch Schadensersatzverfahren
Ein typischer Fall aus dem Alltag: Ein Vertriebsmitarbeiter bekommt bei einem AkquiseGespräch vom Kunden zu hören, dass das angebotene Produkt zu teuer sei und der Wettbewerber drei Euro weniger nehme. Der Mitarbeiter mailt die Info an seinen Chef: Wir müssen den Preis senken, weil der Wettbewerber drei Euro billiger anbietet.
Jahre später kommt diese EMail in einem Kartellverfahren plötzlich auf den Tisch; der Vertriebler und sein Unternehmen werden kartellrechtlich belangt. Hätte er dazugeschrieben, dass er die Information vom Kunden hatte, wäre er raus gewesen. Da er das nicht getan hat, steht er im Verdacht, sich mit dem Konkurrenten abgestimmt zu haben. „Man sollte also immer die Quelle der Information dazuschreiben“, rät Partner Dr. Johannes Zöttl, Kartellrechtsund Compliance-Experte bei der internationalen Kanzlei Jones Day. Was Mitarbeitern in großen Konzernen geläufig ist, sorgt häufig in mittelständischen Unternehmen aber noch für Überraschungen. Viele haben kräftig expandiert und internationalisiert. Plötzlich stehen sie vor den unbekannten und tiefgründigen Gewässern juristischer Spitzfindigkeiten – im nationalen Geschäft, vor allem aber beim Eintritt in die Rechtssysteme anderer Länder.
Kartell, Korruption, Insiderhandel – all dies sind Themen für Compliance-Experten, für Spezialisten, die sich mit den juristischen Implikationen guter und sauberer Unternehmensführung auskennen. Experten wie Dr. Zöttl. Wenn er aus der Praxis und von aktuellen Trends erzählt, könnte es manch einem Unternehmer mulmig werden. Früher arbeiteten Kartellbehörden und Staatsanwälte eher nebeneinander, heute sprechen sie sich ab. „Sie werden dabei immer bissiger“, konstatiert Zöttl salopp. Nicht nur Unternehmen, auch Behörden stehen unter Erfolgsdruck, Zöttl beobachtet einen regelrechten „Wettbewerb zwischen den Wettbewerbsbehörden“.
Neue rechtliche Rahmenbedingungen verschärfen den Druck auf Unternehmer. Die meisten Verfahren werden durch Kronzeugen ausgelöst. „Das vergrößert die Unsicherheit im Kartell“, sagt Zöttl. Kartellsünder können sich nicht auf ihre Geschäftspartner verlassen. Zumal die Kronzeugen von den aggressiv agierenden Fahndern in die Mangel genommen werden. „Da sie kooperieren, stehen sie unter dem Druck, ewta tatsächlich Interessantes erzählen zu müssen“, beschreibt Zöttl. Da werde dann auch mal kräftig aufgetischt, und man könne ins Visier der Fahnder geraten, selbst wenn die Dinge eigentlich nicht nach Millionenbu- ßen schreien. Da können Verfahren durch Kartellwächter und Staatsanwälte zu Schlammschlachten ausarten.
Unter Druck geraten Kartelle zunehmend auch durch Schadensersatzverfahren. Seit einigen Jahren können Geschädigte ihr Geld zurückfordern, das sie wegen des Kartells zu viel gezahlt haben. Der Bundestag hat kürzlich eine Gesetzesnovelle verabschiedet, um die Rechte von Geschädigten weiter zu stärken. „All dies macht die Unternehmen sensibler“, stellt Zöttl fest. Auch mit Blick auf ihre Partner: „Der beste Freund kann morgen der schlimmste Feind sein“, schließlich weiß er mehr als andere über das betroffene Unternehmen.
Compliance-Fragen spielen auch im Transaktionsgeschäft eine wichtige Rolle, weiß Dr. Ulrich Brauer, Partner-inCharge (fürs Kanzleimanagement des Düsseldorfer Standorts verantwortlicher Partner) und Spezialist für M&A-, Joint Venture- und Transaktionsgeschäfte. Bei Käufen rücken während der Due-DiligencePrüfungen auch ComplianceThemen immer mehr in den Fokus, „das Käufer-Unternehmen erbt sie ja“, erklärt Brauer. Die Rechtsspezialisten schauen sich dabei zum Beispiel auch den E-Mail-Verkehr an. Sollten da unsaubere Dinge zutage treten, müssen Lösungen her, schlimmstenfalls raten die Juristen auch vom Unternehmenskauf ab. Das sei alles schon vorgekommen, sagt Brauer.
Unternehmen sollten insbesondere bei Auslandsaktivitä- ten die Compliance nicht vernachlässigen, raten die Experten. In China zum Beispiel greifen die Kartellbehörden stärker durch, wobei das Kartellrecht durchaus auch als Instrument gegen unliebsame Akteure genutzt wird. So oder so – deutsche Unternehmer tun gut daran, sich ihre Joint Venture-Partner genau anzuschauen. Auch ausländische Manager können ins Visier der Fahnder geraten, warnt Brauer.
Wie können Unternehmen sich generell besser wappnen? Wie können sie die Spannung zwischen Erfolgsdruck und der Notwendigkeit lösen, das Unternehmen sauber zu halten? „Die Führungskräfte müssen mit gutem Beispiel vorangehen“, rät Zöttl. Die beste Compliance-Struktur laufe sonst ins Leere. Untere Ebenen müssen nach oben offen kommunizieren können und dürfen. Zum Beispiel Erklärungen für ausbleibende Erfolge – damit die Mitarbeiter oder Manager nicht aus Angst vor Konsequenzen in unsaubere Machenschaften (Kartell, Korruption) abrutschen.
Viele weitere Tipps bieten die Experten ihren Mandanten in Beratungen und Schulungen – von der Warnung davor, bei Branchentreffen über Preise und sonstige Interna zu sprechen, bis hin zu den großen Gefahren beim Umgang mit E-Mails. Zu tun gibt es genug, und viele deutsche Unternehmen haben einiges aufzuholen, wie man bei Jones Day weiß. Die Kanzlei hat sich beim Thema Compliance einen Namen gemacht.