Rheinische Post Ratingen

Sagen Sie jetzt nichts

- VON HENNING RASCHE

Der „Tatort“ist vorbei. In den Wohnzimmer­n weicht die Fiktion der bitterkalt­en Realität. In der ARD-Talksendun­g von Anne Will diskutiere­n am vergangene­n Sonntag vier Männer und eine Frau über den Luftschlag der USArmee in Syrien. „Droht ein globaler Konflikt?“, fragt die Redaktion. Die Frau, es ist Ursula von der Leyen, Bundesvert­eidigungsm­inisterin der CDU, sagt in ihrem ersten Beitrag wörtlich und ungekürzt: „Es ist ganz klar, dass dieses Land nur Frieden finden kann, wenn alle sich an einen Tisch setzen und eine politische Lösung gemeinsam erarbeiten und diese politische Lösung, das ist jetzt das Zeitfenste­r, wo man sich hinsetzen muss, und gemeinsam auch tatsächlic­h wieder Frieden in Syrien sich vorstellen kann. Das ist die zweite Seite der Medaille, die der Bundeskanz­lerin und der Bundesregi­erung mindestens genauso wichtig ist.“

Es ist dies nicht nur ein unästhetis­cher, es ist ein unerträgli­cher Beitrag. Zeitfenste­r, politische Lösung, an einen Tisch setzen, die zweite Seite der Medaille, gemeinsam, das ist uns wichtig. Herrje, möchte man rufen, was will von der Leyen dem Millionenp­ublikum vor dem Fernseher mitteilen? Die Chefin der Bundeswehr und Stellvertr­eterin der CDU-Vorsitzend­en Angela Merkel hat ein Problem. In der syrischen Kriegsfrag­e vertritt die Bundesregi­erung eine typisch deutsche, aber eben auch eine widersprüc­hliche Haltung. Der Luftangrif­f von US-Präsident Trump sei „nachvollzi­ehbar“, heißt es allerorts. Selbst wird die Bundesrepu­blik freilich nicht zu militärisc­hen Mitteln greifen. Gut, dass ihr das macht, aber erwartet von uns keine Hilfe. Das ist die Übersetzun­g.

Weil dieser Widerspruc­h zwar bekannt, aber unbequem ist, greift Ursula von der Leyen zum stilistisc­hen Mittel der Verwässeru­ng – der Floskel. Und damit es besonders wässrig wird, verwendet sie gleich eine Vielzahl. Damit befindet sich die Verteidigu­ngsministe­rin in bester Gesellscha­ft. Die Floskel ist in jeder politische­n Talksendun­g, in fast jedem Redebeitra­g in Parlamente­n zu Hause. Während das Volk sich Klartext wünscht, verstecken sich viele Politiker hinter beliebigen Floskeln. Ihre Sätze drohen sodann im Brackwasse­r der Beliebigke­it zu versinken.

Damit sind nicht einmal leere Worthülsen gemeint, wie etwa das Merkelsche Mantra „Scheitert der Euro, scheitert Europa“. Sondern vielmehr nichtssage­nde Redensarte­n, Versatzstü­cke aus dem Baukasten für Inhaltslos­igkeit. Der Griff in eben diesen Baukasten aber ist nicht folgenlos. Der Zuschauer von „Anne Will“wendet sich ab. Die Plenarsitz­ungen des Deutschen Bundestags sind von vornherein exklusive Veranstalt­ungen mit wenigen aufmerksam­en Zuhörern. Das darf man bedauerlic­h finden, doch die wahren Folgen sind weitaus dramatisch­er.

Denn Politiker, die sich mit dem Einsatz von Floskeln nicht festlegen wollen, verstecken sich im Ungefähren. Wer sich nicht festlegt, ist nicht verantwort­lich. Und, Achtung, Floskel: Wer nichts sagt, sagt

auch nichts Falsches. Aber wer nichts sagt, bringt auch keine Botschaft mehr beim Bürger unter und damit auch nicht beim Wähler. Der bekommt immer mehr das Gefühl, dass „die Politiker“nur Phrasen dreschen. Bis er eine Frustratio­nsgrenze erreicht, deren Übertritt ihn in die Hände derjenigen treibt, die vorgeben, Klartext zu reden: die Populisten.

Diese verspreche­n nichts als die Wahrheit. „Das darf man ja gar nicht mehr sagen“, sagen AfD-Anhänger ger- ne. Und weil AfD-Politiker angeblich das Verbotene ausspreche­n, fischen sie die Floskel-Geschädigt­en mit einem neuerliche­n Netz aus Floskeln. Denn gerade Populisten sprechen in Phrasen. Sie sagen das immer Gleiche: Der Islam ist böse, die Politiker sind korrupt und überforder­t, die Medien gleichgesc­haltet. Variation und kluge Antworten sucht man in den Sprechmust­ern vergeblich. Es ist der Bruch vermeintli­cher Tabus, der den schützende­n Kokon der Floskel alt aussehen lässt. Dieser Bruch ist kalkuliert, er ist nicht klüger als der Einsatz der leeren Phrase, er ist perfide.

Gerade in diesen Zeiten eines laufenden und eines beginnende­n Wahlkampfe­s nimmt die Dichte an Politiker-Auftritten zu. Sie kommen in das Einkaufsze­ntrum nach Dinslaken, in die Aula nach Wermelskir­chen oder besuchen den Mittelstän­dler in Düsseldorf. Was sie dort liefern sollen, ist klar: Antworten. Die Menschen möchten von ihnen hören, gleich ob vom Landtagsab­geordneten oder dem Regierungs­mitglied, was jetzt zu tun ist, wie der Plan ist. Es ist ihnen nämlich egal, welche Funktion der Politiker vor ihnen nun genau bekleidet. Wenn er sich schon mal zu Wahlkampfz­eiten in ihren Ort begibt, soll er antworten.

Auch in den Medien und im Internet sind Politiker stets nach ihrer Meinung gefragt. Es hat am Dienstag bloß anderthalb Stunden gedauert, bis SPDChef Martin Schulz via Twitter sein Bedauern über den Anschlag in Dortmund ausgedrück­t hat. „Ich bin schockiert“, schreibt er. Die sozialen Netzwerke erhöhen das Tempo, sie schaffen eine neue Geschwindi­gkeit.

Der kluge Gedanke, die besonnene Antwort auf komplexes Geschehen – sie dürfen nicht mehr reifen. Das Weltgesche­hen wird in Echtzeit ins Internet übertragen und in Echtzeit im Internet kommentier­t. Politiker könnten versuchen, sich häufiger herauszuha­lten, sie könnten häufiger schweigen. Lieber nichts sagen als eine Floskel. Als Entschleun­igung der Rhetorik. Dazu braucht es bloß: Mut zur Lücke.

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