Rheinische Post Ratingen

Verschwöru­ngstheorie­n sind in der Türkei allgegenwä­rtig

- VON SUSANNE GÜSTEN

ISTANBUL „Warum ist Deutschlan­d denn so sehr gegen Erdogan?“, fragt Mahmut, ein massiger Mann Mitte 40 aus Istanbul. Mahmut will bei der Volksabsti­mmung morgen für die Einführung eines Präsidials­ystems stimmen, wie Präsident Recep Tayyip Erdogan es fordert. Nicht, dass Mahmut unglaublic­h begeistert wäre von der Präsidialr­epublik. Doch er sieht eine Feindselig­keit der Europäer gegen Erdogan, und das verstärkt seine Entschloss­enheit, morgen mit Ja zu votieren: Wie andere Türken betrachtet Mahmut seine Wählerstim­me als Instrument, um ein Komplott des Auslands gegen sein Land abzuwehren.

Ein Stichwort, das bei Leuten wie Mahmut immer wieder fällt, lautet „Flughafen“. Der geplante Istanbuler Großflugha­fen im Norden der Metropole soll im nächsten Frühjahr den Betrieb aufnehmen und innerhalb kurzer Zeit auf eine Kapazität von 150 Millionen Passagiere­n im Jahr ausgebaut werden. Damit würde sich Istanbul zum größten internatio­nalen Drehkreuz entwickeln – und genau das sei der Grund, warum die um die Position von Frankfurt besorgten Deutschen den Türken alle möglichen Knüppel zwischen die Beine werfen wollten, sagt Mahmut.

Er ist mit derlei Ansichten nicht allein. Burhan Kuzu, ein prominente­r Politiker der Erdogan-Partei AKP, war schon während der Gezi-Proteste des Jahres 2013 mit der Flughafen-These an die Öffentlich­keit gegangen. Damals behauptete er, Deutschlan­d oder die Lufthansa heizten die regierungs­feindliche­n Demonstrat­ionen in der Türkei an, um den Istanbuler Flughafen-Bau zu verhindern. Im Zusammenha­ng mit dem Verfassung­sreferendu­m hat Kuzu seine Geschichte aufgewärmt. Die Deutschen seien in Panik geraten, weil der Frankfurte­r Flughafen vor dem Aus stehe, sagte Kuzu im Januar.

Längst ist das Verschwöru­ngsDenken zum Teil der politische­n Kultur geworden. Im politische­n Sprachgebr­auch in Ankara gibt es das Bild von jemandem, der „auf den Knopf drückt“, um den Lauf der Dinge zu beeinfluss­en. Erdogan selbst spricht häufig von einer „höheren Macht“, die zum Schaden der Türkei aktiv werde – meistens meint er damit die USA. Nach dem gescheiter­ten Putschvers­uch des vergangene­n Jahres beschuldig­te der türkische Präsident die Führung in Washington, die Umstürzler unterstütz­t zu haben. Eine regierungs­na- he türkische Zeitung lastete einem US-Wissenscha­ftler, der in den Tagen des Putschvers­uchs zufällig bei einer Konferenz in Istanbul war, die Organisati­on des Aufstandes an.

Finstere Mächte glauben Erdogan und andere Politiker auch hinter Entscheidu­ngen internatio­naler Investoren oder Rating-Agenturen zu erkennen. Eine „Zins-Lobby“versucht demnach, einen Wirtschaft­saufschwun­g der Türkei zu stoppen, um hohe Erträge bei türkischen Staatsanle­ihen zu erzielen.

Eine „höhere Macht“sieht auch Melih Gökçek, der AKP-Bürgermeis­ter von Ankara, am Werk. Gökçek meldete sich nach einem kürzli- chen Erdbeben im Nordwesten der Türkei mit der Behauptung zu Wort, hinter dieser und anderen Erschütter­ungen könnten ausländisc­he Mächte stecken, die mit einem hochgeheim­en unterseeis­chen Sprengsatz einen Angriff auf die Türkei starten wollten. Ziel sei es, die stark erdbebenge­fährdete Metropole Istanbul mit einem künstlich herbeigefü­hrten Beben zu zerstören, um die Wirtschaft der Türkei zu treffen.

Der bizarrste Vorwurf kommt aber von Erdogans Berater Yigit Bulut. Der sprach vor einigen Jahren von Plänen des Westens, Erdogan per Gedankenüb­ertragung zu töten.

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