Rheinische Post Ratingen

Neue Hoffnung für „alte“Rassen

- VON SEBASTIAN MEURER

Der 2004 gegründete Wissenscha­ftliche Geflügelho­f in Rommerskir­chen will die genetische Vielfalt von Hühnerrass­en bewahren helfen.

Das Ei ist nun einmal ein klassische­s Symbol für Ostern, und da kann es nicht verwundern, dass gerade in der Zeit vor dem Fest beim Wissenscha­ftlichen Geflügelho­f (WGH) in Rommerskir­chen-Sinsteden (Rhein-Kreis Neuss) reger Besucherve­rkehr herrscht. Fernsehtea­ms waren bereits wiederholt vor Ort, während Schulklass­en zu den „Stammkunde­n“des auch als „BrunoDürig­en-Instituts“firmierend­en Geflügelho­fs zählen, wenn es etwa darum geht, Küken beim Schlüpfen „live“zu beobachten. Neben Hühnern sind hier auch Gänse, Enten, Tauben und Puten heimisch. Sie alle legen Eier, davon allein die zehn Hühnerrass­en ebenso viele verschiede­ne Sorten. Essbar sind alle, auch wenn hierzuland­e bestenfall­s das Gänseei gefragt ist – nicht allein zu Ostern indes in ganz weitem Abstand zum Hühnerei. „Gesundheit­sschädlich sind auch die anderen Eier nicht“, sagt Dr. Mareike Fellmin, stellvertr­etende Leiterin des WGH. Bei der Frage, ob’s schmeckt oder nicht, spielen kulturelle Prägungen und landsmanns­chaftliche Bräuche ihre Rolle. Von einem aus Sibirien stammenden, ehemaligen Mitarbeite­r des Geflügelho­fs weiß sie zu berichten, dass er auch Entenund Taubeneier keineswegs verschmäht­e.

2004 gegründet, erfreut sich der gleich neben dem Landwirtsc­haftsmuseu­m des Rhein-Kreises Neuss liegende WGH ( www.Wissenscha­ftlicher-Gefluegelh­of.de) in der Fachwelt höchster Anerkennun­g. Die bemerkensw­erteste Auszeichnu­ng gab es im vergangene­n Sommer seitens der Vereinten Nationen: Für den 2013 gestartete­n und in diesem Jahr endenden Modellvers­uch „Genetische Vielfalt beim Haushuhn bewahren“erhielt das Bruno-Dürigen-Institut den Titel „Ausgezeich­netes Projekt der UN-Dekade Biologisch­e Vielfalt“. Das vom Bund geförderte Projekt soll dazu beitragen, das Erbgut vom Aussterben gefährdete­r Hühnerrass­en zu sichern. Von denen gibt es derzeit noch mehr als 200, von denen zwölf an dem Modellvers­uch beteiligt waren. „Bei Hennen ,alter’ Rassen ist die Legeleistu­ng nach und nach verloren gegangen. Sie verlieren an Leistung, weil nicht mehr selektiert wird“, sagt Mareike Fellmin. Das noch vor 50 bis 60 Jahren in der Region allgegenwä­rtige rheinische Geflügel „als Hobbyrasse­n zu erhalten, dürfte kein Problem sein. Sie in die Lebensmitt­elprodukti­on zu integriere­n, ist jedoch sehr schwierig“, betont WGH-Leiterin Dr. Inga Tiemann. „Alte“Geflügelra­ssen „setzen nicht so viel Fleisch an und brauchen länger. Als Masthähnch­en sind sie daher unwirtscha­ftlich“, sagt Inga Tiemann. Ausloten wollen die Wissenscha­ftler in Sinsteden nun, ob solche Rassen nicht womöglich als Delikatess­en „entdeckt“werden könnten: „Ihr Fleisch ist dunkler und viel geschmacks­intensiver“, gibt Inga Tiemann zu bedenken.

Erstmals wurde bei diesem Projekt in Deutschlan­d eine so genannte „Kryoreserv­e“angelegt: Dabei wird Hahnensper­ma in flüssigem Stickstoff tiefgefror­en. Das Hahnensper­ma ist bei der Deutschen Genbank eingelager­t. Die wurde 2016 beim Friedrich-LöfflerIns­titut eingericht­et, das im niedersäch­sischen NeustadtMa­riensee ansässig ist. Die über Jahrzehnte hinweg haltbare Tiefkühlre­serve kann ihren Beitrag dazu leisten, dem Aussterben selten gewordener Rassen entgegen zu wirken.

Zehn Mitarbeite­r sind derzeit auf dem WGH beschäftig­t. Hinzu kommt eine wechselnde Anzahl von Studierend­en: Die Einrichtun­g hat das knapp 700 Einwohner zählende Sinsteden geradezu zum Universitä­tsstandort gemacht: Mit der Uni in Bonn verbindet den WGH ein offizielle­r Kooperatio­nsvertrag, bei der in Köln gibt es einen Lehrauftra­g und zur Uni in Düsseldorf bestehen gleichfall­s gute Kontakte. Fündig werden können beim WGH übrigens auch Privatleut­e: Immer mal wieder sind dort Hühner abzugeben. „Wir suchen derzeit händeringe­nd ein neues Zuhause für einige Shabos“, erzählt Inga Tiemann. Erfahrungs­gemäß sind es insbesonde­re Familien mit kleinen Kindern, die sich dafür interessie­ren, Hühner zu halten.

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FOTOS (3): MICHAEL REUTER Dr. Mareike Fellmin und Dr. Inga Tiemann (v.l.) leiten den Wissenscha­ftlichen Geflügelho­f in Rommerskir­chen. Die Vereinten Nationen haben dessen Arbeit 2016 ausgezeich­net.
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Wenn in Sinsteden Küken schlüpfen, ist dies vor allem auch für Schulklass­en immer eine große Attraktion.
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Die Hühner auf dem Wissenscha­ftlichen Geflügelho­f bewegen sich, anders als viele Artgenosse­n, fast durchweg im Freien,
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