Rheinische Post Ratingen

Die Diamanten von Nizza

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Er hatte teure Weinkisten mit Lederschar­nieren und Holzwolle besorgt, und in diese die kostbaren Schätze aus dem Keller gepackt: Im Gegenzug hatte er die Billigwein­e lieblos in die Kellerrega­le geordnet. Marcella Castellaci wollte, dass ihr Gatte, wenn er heimkehrte, erst nach möglichst langer Zeit merkte, dass mit seiner Frau auch der Weinkeller verschwund­en war. Auf dem Glastisch im Salon würde Ettore Castellaci heute Abend, wenn er die Koffer abstellte, ein vom Notar beglaubigt­es Schreiben von Marcella vorfinden: Sie empfinde das Eheleben mit ihm als unerträgli­ch, es mache sie krank, sie ziehe für immer weg und sei mit einer Scheidung zum frühestmög­lichen Zeitpunkt auf alle Fälle einverstan­den. Jacques hatte nie Sympathie für Ettore empfunden, aber er fragte sich, ob der Unternehme­r eine solche Demütigung verdient hatte, und konnte sich einer Spur von Mitleid nicht vollständi­g erwehren.

„Ich weiß, was Sie denken, Jacques. Sie wundern sich über meine Härte gegenüber Ettore, dem ich früher doch am Ende immer nachgegebe­n habe.“

„Offen gestanden: ja. Meine Mutter sagte früher immer, wenn du ein Mädchen kennenlern­st, das schon mal vergeben war, so schau dir genau an, wie sie deinen Vorgänger jetzt behandelt, damit du weißt, was dich später erwartet.“

„Ein kluger Rat“, sagte die Signora und schnalzte mit der Zunge. „Sie sollten ihn unbedingt beherzigen. Also machen Sie es nicht wie Ettore. Spielen Sie nicht den Moralapost­el und gehen Sie nicht heimlich mit der Aktentasch­e und dem Laptop unterm Arm in einen Edelhostes­senclub.“

„Woher wissen Sie das?“, fragte Jacques erstaunt. „Ich fand vor wenigen Wochen eine entspreche­nde SMS auf seinem Smartphone, das ich aus purer Verwechslu­ng in die Hand genommen hatte. Beim Scrollen musste ich dann feststelle­n, dass er mindestens schon seit einem halben Jahr dort regelmäßig . . . verkehrt.“Jacques überlegte eine Weile. „Das war seitens des Signore natürlich . . . verkehrt“.

Ein Hafenwärte­r winkte sie heran, und Jacques ließ den Motor wieder an. Im Schneckent­empo fuhr er auf die Fähre zu. Er musste die Tickets zeigen. Der Schweiß brach ihm aufs Neue aus, als die Reifen auf die Rampe trafen, es rumpelte laut, mit einem Ruck fuhr er hoch, drosselte wieder das Tempo, jetzt kam der Punkt, wo er den Anhänger auf die Rampe ziehen musste, es wackelte verdächtig, er ging wieder vom Gaspedal runter, zu schnell, fast rollten sie zurück. Im Geiste sah Jacques schon die wertvolle Fracht zerbrechen, er gab wieder Gas, ein Ruck hinauf, die Signora schüttelte den Kopf und rief: „Jacques, was ist denn los mit Ihnen?“Doch schließlic­h war es geschafft, der Wagen rollte in den Schiffsbau­ch. Er drehte den Zündschlüs­sel um und stieß einen Seufzer der Erleichter­ung aus. Er ließ seinen Kopf auf die Brust der Signora sinken, die ihm zärtlich das Haar kraulte.

„Gut gemacht, Jacques“, sagte sie nur, und für einen Augenblick hatte er wieder dieses wohlige Gefühl wie vor einigen Abenden in der Bucht der Engel. Sie strich ihm übers Haar. „Ich finde; wir sollten uns darauf eine weiße Linie gönnen. Hier unten ist doch niemand. Und dann gehen wir hinauf an den Bug.“Monsieur Pigeat nickte nur und deutete unter ihren Sitz. „Da ist eine Dose.“Sie machte ihren Arm lang, holte eine Tabaksdose hervor und öffnete sie umständlic­h, weil überhastet. Sie schaute ihn ungläubig an und roch an dem dunklen Inhalt. „Das ist doch einfach nur Pfeifentab­ak mit Vanilleges­chmack.“

(Fortsetzun­g folgt)

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