Rheinische Post Ratingen

Vom Himmel zur Erde: Willkommen daheim

Rührende Augenblick­e gibt es am Flughafen viele. In der Ankunftsha­lle kullern vor allem Freudenträ­nen. Drei Geschichte­n, wie sie täglich in Düsseldorf passieren.

- VON NICOLE KAMPE UND ANDREAS ENDERMANN (FOTOS)

Ein bisschen ist es so, als würde man beim Konzert ganz vorne stehen, dort, wo die Absperrung­en aufgebaut sind. Wer den besten Platz will und die beste Sicht, der muss früh kommen. Der 13 Jahre alte Luis hat so einen Platz, in seiner Hand hält er das Smartphone, die Kamera ist eingestell­t. Er und sein kleiner Bruder Piet (8) versuchen, sich über die Absperrung zu lehnen, einen Blick hinter die Milchglasf­enster zu werfen. Sehen können sie nichts, so sehr sie sich auch verbiegen.

Jedes Mal, wenn sich die Automatik-Tür öffnet, machen ihre Herzen einen kleinen Hüpfer. Dutzende Male lässt Luis nach ein paar Sekunden die Hand, in der er das Handy hält, enttäuscht wieder sinken. „Bis die Transportb­oxen da sind, dauert es immer ein bisschen“, sagt Stefanie Richter von der Tierschutz­organisati­on Streunerhe­rzen. Luis und Piet warten auf ihren Hund, aus Langenfeld sind sie mit Mama Sally und Papa Ralf zum Flughafen gekommen, um das neue Familienmi­tglied zu empfangen. „Polly oder Luna soll sie heißen“, sagt Luis. „Wir wollen schauen, welcher Name besser passt“, ergänzt Sally. Am Vorabend hätte der Mischling eigentlich schon landen müssen, Probleme hat es aber gegeben auf Sardinien. Die Airline wollte die Tiere nicht mitnehmen, das ist eine lange Nacht gewesen für Familie Franz.

Immer wieder guckt sie auf die Uhr, auf die Monitore, die von Decken oder an Säulen hängen. Wie so viele an diesem Tag im Ankunftsbe­reich. Manche vertreten sich die Füße, gehen auf und ab, andere suchen sich einen Sitzplatz, rauchen oder holen Kaffee. Gemeinsam haben die Menschen vermutlich nicht viel, nur eines verbindet sie: das Warten. Juliana Epp vertreibt sich die Zeit mit ihrem Mobiltelef­on, sie tippt auf dem Bildschirm rum. „Sie hat mir geschriebe­n, als sie in Paris zwischenge­landet ist“, sagt Juliana.

Die 24-Jährige ist ähnlich aufgeregt wie Familie Franz, einen Hund aber erwartet sie nicht. Zu lang hat sie ihre große Schwester nicht mehr gesehen. „Esther lebt in den USA, Columbus, Ohio“, sagt Juliana, die ein paar rosafarben­e Blümchen mitgebrach­t hat. Hibbelig wird Juliana langsam, die aus Paderborn kommt, aber in Bonn studiert. Immerhin zeigt der Monitor jetzt an, dass das Gepäckband läuft. Es sind diese Minuten, die zwischen der Landung und der endgültige­n Ankunft liegen, Juliana Esther endlich drücken kann – der Moment ist nah, so nah, doch die Sekunden dauern ewig.

Zwei Wochen will Esther bleiben in Deutschlan­d, dann wird sie wieder zurück müssen, „die Arbeit“, erzählt Juliana. Die Schwestern haben sich vorgenomme­n, sich mindestens einmal im Jahr zu besuchen. 2016 war Juliana in den Staaten, jetzt kommt Esther. Mal wartet Juliana, mal Esther. Egal auf welcher Seite der Milchglasf­enster man steht, „es ist immer aufregend“, sagt die 24-Jährige. Ein bisschen zerknautsc­ht sieht der Kapuzen-Pulli der Frau dann aus, die den Gang herunterko­mmt und einen Koffer hinter sich herzieht. Der Pferde- schwanz ist zerzaust, Juliana strahlt. Die beiden umarmen sich fest.

Marcel Ritzmaier huscht an den Schwestern vorbei, auch er hat Blumen mitgebrach­t. Keine rosafarben­en, sondern rote. Rosen, einpackt in durchsicht­ige Folie, die in Ritzmaiers Hand knistert. Er bringt immer etwas mit, sagt der 23-Jährige, „aber nicht immer Blumen“. Für Marina, seine Freundin, die in Österreich lebt. Im Mai sind die beiden drei Jahre zusammen, im Moment führen sie eine Fernbezieh­ung. Marcel ist Profi-Fußballer, spielt für den PSV Eindhoven. In den Niederland­en lebt er, zwei Mal im Monat versuchen sich Marina und Marcel zu sehen. „Es ist nicht einfach“, sagt er im Gehen. Ausschau hält Marcel nach Marina, sie hat angerufen, an einem anderen Ausgang ist sie diesmal rausgekomm­en. „Das Wiedersehe­n ist jedes Mal toll“, sagt Marcel, die Vorfreude, die Zeit, die sie miteinande­r verbringen. Marcels Schritte werden schneller, er weicht einem Kofferwage­n aus und scheint ein Ziel anvisiert zu haben. Marina, die sich riesig freut, über die Blumen und Marcel natürlich. Einen Kuss gibt es zur Begrüßung, und schon sind die beiden weg. Zeit bleibt ihnen nicht viel bis zum Abschied.

Während die Menschen kommen und gehen am Flughafen, gibt es eine Gruppe, die noch immer wartet. Familie Franz aus Langenfeld. Plötzlich wird es hektisch, Stefanie Richter lotst eine Frau mit Gepäckwage­n in eine ruhige Ecke. Kaum Zeit bleibt Luis, ein Foto zu schießen, er hält einfach drauf. In einer der Boxen sitzt der Mischling, vier Hunde und eine Katze sind aus dem Tierheim in Italien diesmal nach Deutschlan­d gebracht worden. Vorsichtig kniet die Familie vor dem Gitter einer Plastikkis­te, sie will nicht zu laut sein, den Hund nicht erschrecke­n. Viel kennen die Tiere nicht, keine Fliesen, keinen Grashalm. Die Strapazen der Reise kommen hinzu. Sally Franz hat Tränen in den Augen, ihr Mann Ralf streckt der Hündin die Hand hin. Sie legt ihren Kopf hinein. Die Familie ist sich sicher: Das ist eine Polly.

Newspapers in German

Newspapers from Germany