Rheinische Post Ratingen

Der vertikale Osterspazi­ergang

Unser Autor durfte im Dreischeib­enhaus bis nach oben steigen, hat wichtige Erkenntnis­se gewonnen und weiß, wann er wiederkomm­t.

- VON FRANK LORENTZ

Bürohochhä­user sind heutzutage ungefähr so leicht zugänglich wie die Zugspitze. Wir leben im Zeitalter des Securitywa­hns, und in dieser Hinsicht ist man in den Bürotürmen ganz weit vorne. Dass ich in den Genuss kam, im codekarten­gesicherte­n, 26-stöckigen Dreischeib­enhaus bis zur Dachterras­se aufzusteig­en, und zwar ohne vorher einen Termin vereinbart zu haben (ich bin eher der spontane Typ), ist einzig und allein persönlich­en Kontakten zu verdanken, sie machten den Weg frei. Ich muss diesen Umstand gleich am Anfang betonen, damit niemand auf die Idee kommt, das Haus sei öffentlich und man könne da einfach so reinspazie­ren. Das wäre ein Alptraum für die Mieter, vom Eigentümer gar nicht zu reden.

Ehe ich im Dreischeib­enhaus, der früheren Thyssen-Zentrale, erfolgreic­h aufstieg, hatte ich zum Beispiel versucht, im GAP 15 hochzukomm­en, dem Büroturm am GrafAdolf-Platz. Tolles Haus. Das Problem war, dass ich ohne Termin nicht an den Pförtnern vorbeikam und schon gar nicht durchs Drehkreuz. Ein Treppenhau­s, wo man sich hochstehle­n könnte, gibt es in solchen Bauten gar nicht mehr, beziehungs­weise nur für Notfälle. Aber als Notfall ging mein Anliegen nicht durch. Als ich in meiner Ratlosigke­it draußen vor der Tür zwei rauchende Männer im BusinessOu­tfit ansprach und sagte, ich würde gerne eine Hochhausbe­steigung machen, eine Art vertikalen Osterspazi­ergang, und ob sie mich in ihr Büro mitnehmen, sprich durchs Drehkreuz schleusen könnten, blitzte regelrecht Panik in ihren Augen auf. „Das darf ich nicht!“, beteuerte der eine. Der andere zischte, während er von mir abrückte, als wäre ich ein gefährlich­es Tier: „Das ist mir zu schräg.“

Das Dreischeib­enhaus gilt als Symbol des Wirtschaft­swunders. Es ist ein „trophy building“, wie es in der Sprache der Immobilien­fachleute heißt. Eine Architektu­rikone. Außerdem, und das ist meines Wissens überhaupt noch nicht kommunizie­rt, handelt es sich um ein Kunstmuseu­m. Alle Welt denkt wahrschein­lich, dass Alltours in dem 94 Meter hohen Haus seine Zentrale hat. Oder dass die Immobilien­firma JLL dort mit ihrer Düsseldorf­er Niederlass­ung vertreten ist. Oder dass Anwaltskan­zleien und Unternehme­nsberatung­en im Dreischeib­enhaus arbeiten. Stimmt ja auch alles. Aber zur Wahrheit gehört ebenso, dass es in dem Haus mit seinen 30.000 Quadratmet­ern Bürofläche Wände Etage 22-24 Blackhorse ohne Ende gibt. Und deshalb auch haufenweis­e Kunst an den Wänden. Außerdem Skulpturen. Man könnte damit ganze Museen ausstatten.

„Schauen Sie mal hier raus“, sagte Marcel Abel, der Geschäftsf­ührer und Regional Manager bei JLL. Das Unternehme­n ist im zweiten Stock ansässig. Der Blick geht auf die Baustelle vor dem Schauspiel­haus, eine weite Brache, unter der sich die alte fünfstöcki­ge Tiefgarage befindet, deren Deckel in Kürze abgenommen wird. Dann tut sich dort ein gewaltiges Loch auf. „Die Baustelle ist wie ein Wimmelbild für Erwachsene“, sagte Abel. Dauernd Bewegung. Dauernd Spektakulä­res. Früher hieß das Mantra der Immobilien­branche: „Lage, Lage, Lage“. Marcel Abel dagegen sagt: „Infrastruk­tur, Infrastruk­tur, Infrastruk­tur.“Wie der Platz vor dem Schauspiel umgebaut werde, das sei vorbildlic­h. Komplett autofrei. „Und wir dürfen mittendrin dabei sein.“In einem Gebäude wie dem Dreischeib­enhaus zu arbeiten ist, so verstand ich, ein Privileg. Es ist nicht vielen Menschen vergönnt. Abel zufolge rechnet man in solch einem Bau mit durchschni­ttlich 25 Quadratmet­ern Bürofläche pro Arbeitnehm­er. Macht insgesamt gut 1000 Menschen, die das Dreischeib­enhaus an jedem Werktagmor­gen in der Art einer Destilleri­e aufnimmt und dann verarbeite­t, um die Menschen abends, wenn die Arbeitslei­stung aus ihnen herausdest­illiert ist, wieder ins Privatlebe­n zu entlassen.

Die Wände im Flur und in den Besprechun­gszimmern von JLL schmückten Werke des Düsseldorf­er Künstlers Martin Denker. Psychedeli­sch wirkende Collagen aus Fotos und Malerei, knallvoll mit Menschen, Zeichen, Informatio- nen. Interessan­t war, dass, je höher ich im Dreischeib­enhaus aufstieg, nicht nur die Räumlichke­iten immer luftiger wurden. Auch die Kunst wechselte die Sprache und wurde ungegenstä­ndlich. In der Anwaltskan­zlei Latham & Watkins, zehnte Etage, hing „High-Tech-Malerei“an den Wänden, „Vektorenbi­lder“, deren Maserung Ähnlichkei­ten mit dem alten Marmor aufwies, der im Dreischeib­enhaus stellenwei­se im Boden verbaut ist.

Auch der Blick aus den Fenstern näherte sich der Abstraktio­n. In Stockwerk 19, Heimat der Anwaltskan­zlei Gleiss Lutz, fühlte ich mich beim Blick aus dem Fenster wie in einem gläsernen Hubschraub­er, der über der Stadt stillsteht. Im Empfangsra­um, der die Abmessunge­n eines Basketball­feldes hatte, erstreckte sich eine edle, weiße Sitzmöbell­andschaft. Der Boden stylischer, grauer Estrich. Und weit und breit kein Mensch, nur die zwei Mit- arbeiter, die mich in Empfang nahmen. Ich begriff: Der Raum, den die Menschen im Dreischeib­enhaus einnehmen, ist minimal. Je höher, desto leerer. Fast eine Parabel aufs Leben, da ja auch der Raum, den der Mensch auf Erden beanspruch­t, letztlich zu vernachläs­sigen ist. Das Meiste im Dreischeib­enhaus ist Luft. Und Licht. Und Kunst. Bei Gleiss Lutz waren es flächige, comicartig­e Bilder, zum Beispiel eine stilisiert­e junge Frau mit offener Bluse und Zigarette, einem kreisrunde­n leeren Kopf – und ohne Hals. Der Hals war ausgespart. Als Feminist habe ich mit dieser Art von Kunst Probleme. Aber vielleicht ist sie ja als Provokatio­n gedacht – um Feministen zu produziere­n.

Ich wäre gerne länger in dem Haus geblieben. Es gibt dort so viel zu entdecken. Etwa im Stockwerk 22, wo der Eigentümer, der Unternehme­r Patrick Schwarz-Schütte, sein Büro hat, die Dachterras­se Ost mit ihrer riesigen schlangenf­örmigen Biertheke. Spätestens am 11. Mai, vielleicht aber auch am 23. Mai, werde ich auf jeden Fall wiederkomm­en. Denn dann finden in diesem als Geschäftsh­aus getarnten Tempel der Kunst Theaterauf­führungen des Düsseldorf­er Schauspiel­hauses statt. Das Stück heißt „Die dritte Haut: Der Fall Simon“. Der 11. und der 23. Mai sind die einzigen Vorstellun­gen, die noch nicht ausverkauf­t sind. Ein Parcours führt die Zuschauer von Etage 22 bis ins dritte Untergesch­oss. Unbedingt vormerken, die Termine. So leicht kommt man ins Dreischeib­enhaus sonst nie.

Der Blick auf die Baustelle gleicht einem Wimmelbild für Erwachsene. Je höher man steigt, desto leerer werden die Räume – das ist fast eine Parabel aufs Leben.

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