Kompromisslos lokal
Auf Sylt sollte man unbedingt auf sein Bauchgefühl hören. Und das lässt sich auf eine ganz einfache Formel bringen: kulinarische Vielfalt gepaart mit höchster Qualität und Kreativität.
Morgens, halb zehn auf Sylt. Die Sonne steht schon hoch über den Morsumer Salzwiesen, und den beiden Spitzenköchen Johannes King und Alexandro Pape, die sich hier zum Kräuterfrühstück verabredet haben. Zwischen Strandportulak und Spitzwegerich geht es um das, was beide auszeichnet: Geschmack und Nachhaltigkeit.
Vor einigen Jahren wurde diese Begriffskombination fast noch visionär gebraucht. Heutzutage verwenden immer mehr Köche Waren aus der näheren Umgebung oder bauen Kraut und Rüben gleich selbst an. Ein Trend? „Nein, eine Entwicklung“, sagt Johannes King, mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichneter Koch, Gastgeber des Gourmet-Restaurants im Rantumer Sölring-Hof und maßgeblich beteiligt an dieser Entwicklung.
Seit Jahren kocht er streng saisonal und vorwiegend mit Zutaten, die ihren Ursprung in Schleswig-Holstein, auf der Insel oder sogar in seinem Garten haben. Auch Alexandro Pape hat ein Faible für heimische und selbstgemachte Pro- dukte, „denn sie haben eine eigene Note, so wie die ganze Insel eine eigene Note hat.“Das ist nicht die einzige Gemeinsamkeit. Zwei Sterne hat auch er erkocht – für das GourmetRestaurant im Hotel Fährhaus in Munkmarsch. Die werden nie aufhören zu leuchten, auch wenn das Fährhaus sein gastronomisches Konzept mittlerweile umgestellt und das Gourmet-Restaurant aufgegeben hat. „Hier, probier mal!“King reicht ihm einen Stängel Dreizack rüber. Pape probiert ständig etwas Neues aus, wie zuletzt etwa das Bier, das er oben in List in seiner Genussmacherei selbst braut. Oder die Sache mit dem Meersalz, das er entgegen aller Unkenrufe aus Nordseewasser produziert. „Bewusstsein für gutes Essen und Genuss schaffen, das ist das Ziel“, erklärt Pape und reicht King ein grünes Büschel rüber. Früher war Queller ein friesisches Arme-Leute-Essen. Heute schwenkt King es kurz in der Pfanne an und reicht es zum Taschenkrebs. „Salzig, nass, jodig, grün. Das ist kulinarische Identität.“Die ist für beide eng damit verbunden, nur noch in die Küche zu lassen, was gerade Saison hat. „Die Leute sollen auf ihrem Teller erkennen, in welcher Jahreszeit sie sich befinden. Essen im Kreislauf der Natur bringt Abwechslung, ist gesund und nachhaltig und schmeckt.“Pape ergänzt: „Ist doch logisch. Was Hochsaison hat, ist zu diesem Zeitpunkt auch von bester Qualität.“Und Qualität ist für beide immer noch die wichtigste Zutat. „Wenn du selbst anbaust, hast du Einfluss auf die Güte eines Produktes. Dann werden Nachhaltigkeit und Regionalität auch zum Qualitätsmaßstab.“
Es geht um Natur, Echtheit und Heimat. Beide haben ein Gespür und die richtige Vita für die wachsende Sehnsucht nach solcherlei Bodenständigkeit. Papes Vater stammt von Sardinien, King wuchs im Schwarzwald auf einem Bau- ernhof auf. „Fast nie mussten wir etwas kaufen, wir haben alles selbst gemacht: Gemüse angebaut, geräuchert, geschlachtet, eingekocht.“Die Kindheitserinnerungen sind jedoch nicht das einzige Motiv, zurück zu den eigenen Wurzeln zu gehen: „Die Gäste sind mittlerweile bereit, neue Wege mitzugehen.“Wege, die King und Pape abseits der hell erleuchteten Sterne-Avenue eingeschlagen und gangbar gemacht haben. Seit einigen Jahren schon bietet King in seinem GenussShop in Keitum eine kunterbunte Mischung seiner Lieblingsprodukte an. Räumlich und konzeptionell nicht weit entfernt, überrascht Pape mit Brot und Bier. Im gleichnamigen Bistro inszeniert er die gute alte Stulle mit exklusiven Kreationen und serviert dazu sein selbstgebrautes Bier. Beide nehmen sich in ihren kulinarischen Refugien die Freiheit, den eng gesteckten Rahmen mit all den Details der Etikette, die der Michelin vorschreibt, aufzubrechen. „Wir möchten eine kleine Anleitung geben: ,Leute, so einfach kann Genuss sein.‘“