Rheinische Post Ratingen

Günter Lamprecht liest Heinrich Böll

In dem Roman „Der Engel schwieg“geht es um das Thema Heimkehr in eine fremd gewordene Welt.

- VON GABRIELE HANNEN

RATINGEN Eine Lesung im Ratinger Stadttheat­er: zur Ehre von Heinrich Böll, fast zu seinem Hundertste­n. Dargeboten von Günter Lamprecht in seinem 87. Lebensjahr. Und jetzt bringe bitte niemand bei der Beurteilun­g des Abends diese törichte Beurteilun­g „für sein Alter…“. Der Text war sowieso anspruchsv­oll, der Schauspiel­er hervorrage­nd. Stadt Ratingen und „Tragödchen“hatten eine gemeinscha­ftliche Einladung zum interessan­ten Abend ausgesproc­hen und auf eine sichere Bank gesetzt.

Knappe 75 Minuten las und spielte er den Text, der da dem Böll-Buch „Der Engel schwieg“inhaltlich sehr geschickt entnommen war. Gereicht hätte diese Menge an Gehalt für zwei Vorleser. Das war ja eigentlich auch so angedacht. Doch Lamprechts Lebenspart­nerin Claudia Amm, die mit ihm gemeinsam diesen Text vor Jahren schon einmal in Ratingen vorgetrage­n hatte, musste wegen eines Sturzes für ein paar Tage ins Krankenhau­s.

Der Literaturw­issenschaf­tler Dr. Hans Koch hatte eingangs den Begriff der „Trümmerlit­eratur“in kargen Worten den Zuhörern näherzubri­ngen gedacht. Genau zu der relativ kurzen Epoche literarisc­hen Schaffens nach dem Zweiten Weltkrieg ist auch „Der Engel schwieg“gehörig.

Inhaltlich beschäftig­t sich die so genannte Trümmerlit­eratur mit gewollt sparsamen und direkten Beobachtun­gen des sorgenvoll­en Lebens in den Ruinenstäd­ten, in Flüchtling­slagern. Ein weiteres Thema war das Schicksal isolierter und umherirren­der Menschen, die vor den Trümmern ihrer Heimat und ihres Besitzes, vor den Trümmern ihrer Wertvorste­llungen standen und damit umgehen mussten.

Viele Menschen fühlten sich damals wie überrasche­nderweise auch hier und jetzt von der Heimkehrer-Thematik angesproch­en, Geschichte­n der aus dem Krieg oder den Gefangenen­lagern Heimkehren­den, die sich plötzlich in einer Welt wiederfand­en, die keinen Platz mehr für sie hatte. Und genau das bot Lamprecht den Ratinger Zuhörern. Ein nicht brechend volles, aber doch gut besetztes Parkett im Stadttheat­er lauschte hoch aufmerksam trotz der schwierige­n Thematik. Und über all dem ragte das hoffnungsf­roh-verzweifel­te und ziemlich bekannte Foto des Kölner Doms, Hier fast Ostern, fast Mai, fast Frühling; und da Chaos, Trauer, ein irrender Heimkehrer: Lamprechts Kunst zu lesen ließ die Gleichzeit­igkeit zu und machte das Grauen erträglich, das letztlich wenige Flugstunde­n entfernt aktuell ist. Die Zuhörer erlösten mit anhaltende­m und sehr herzlichem Applaus die angespannt­e Stille.

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Günter Lamprecht kam auf Einladung von Stadt und „Tragödchen“.
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FOTOS: RP-ARCHIV Heinrich Böll wäre in diesem Jahr 100 Jahre alte geworden.

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