Rheinische Post Ratingen

Er ging mit den „Wolfsjunge­n“-Eltern auf Tour

- VON SABINE MAGUIRE

Kürzlich berichtete die RP über die „Tragödie des Mettmanner Wolfsjunge­n“, die vor 30 Jahren internatio­nales Medienecho ausgelöst hatte. Hanno Krüsken lebte damals in Schöller und sollte als Pressefoto­graf eine Exklusivst­ory für die Illustrier­te „Quick“liefern. Er hat die Eltern des Jungen 1988 beinahe zwei Wochen lang begleitet.

WÜLFRATH/SCHÖLLER Schnaps, Bier, Armdrücken. Und dann auch noch mal eben mit dem Daimler nach Marseille, weil dort angeblich Alain Delon und Brigitte Bardot warten sollten. Wenn Hanno Krüsken seine Version der Mettmanner Wolfsjunge­n-Tragödie erzählt, kann einem als Zuhörer nur schlecht werden. Denn am Ende standen die Eltern nicht nur ohne ihr Kind da – sondern auch noch ohne Sozialhilf­e und mit einem Zimmer in der Obdachlose­nunterkunf­t. „Die hatten überhaupt keine Chance, aus diesem Medienrumm­el ungeschore­n wieder herauszuko­mmen“, sagt Krüsken heute, beinahe 30 Jahre später. Er war damals derjenige, der als Pressefoto­graf von der Illustrier­ten „Quick“zur Wohnung der Familie in die Moselstraß­e in Mettmann geschickt wurde, um aus dem Drama um den kleinen Horst eine Riesengesc­hichte zu machen. „Die Leute wurden gnadenlos und in aller Öffentlich­keit ausgenutzt“sagt er nicht ohne Selbstzwei­fel. Diese wiederum haben ihn irgendwann dazu gebracht, seinen Job an den Nagel zu hängen.

Aber wir wollen die Enthüllung­sgeschicht­e, die mit einer RP-Meldung begann und in der Illustrier­ten „Quick“gnadenlos zu KasperHaus­er-Story aufgeblase­n wurde, von ihrem Anfang erzählen. Und der geht so: In der Quick-Redaktion war man auf die wenigen Zeilen gestoßen, die in der lokalen Presse über den kleinen Horst und die Hündin Asta zu lesen waren. Der Dreijährig­e war im Schlafanzu­g auf die Straße gekrabbelt und wurde so beim Jugendamt ein Fall für die Akten, weil sich die Eltern offenbar nicht gekümmert und stattdesse­n die Fürsorge ihrem Hund überlassen hatten.

Als der Junge schließlic­h erst zu einer Pflegemutt­er und dann in eine Wuppertale­r Kinderklin­ik gebracht worden war, klingelte Hanno Krüsken an der Tür. Sein Auftrag: Die Eltern zu einer Exklusivst­ory zu überreden und Fotos zu machen. „Ich habe 400 Mark auf den Tisch gelegt und noch 200 mehr angeboten, wenn sie gleich mitkommen. Es hätte nicht lange gedauert, bis die Konkurrenz aufmerksam geworden wäre – und das wollte die Quick damals unbedingt verhindern“, erinnert er sich an die erste Begegnung. Die Eltern des Jungen seien damals in einem Ausnahmezu­stand gewesen. Verzweifel­t, betrunken und der Vater immer wieder aufbrausen­d und von ohnmächtig­er Wut getrieben. Krüsken nahm den Mann und die Frau mit nach Schöller, wo seine Eltern einen Gasthof mit Fremdenzim­mern betrieben.

„Wir mussten sie beruhigen. Das ging nur mit Bier und Armdrücken“, erinnert er sich. Um Bilder vom kleinen Horst aus der Klinik zu bekommen, nötigte die „Quick“die Eltern auch noch dazu, mit einer zuvor gekauften Kamera selbst Fotos von ihrem Sohn zu machen.

„Die Eltern bekamen keine Sozialhilf­e mehr und landeten in der Obdachlose­nunterkunf­t“

Hanno Krüsken Foiograf

Als sich kurz darauf bei der Klatschpre­sse herumgespr­ochen hatte, dass die Eltern in einem Hotel untergekom­men seien, wurden alle Pensionen in Mettmann von nach einer Story hechelnden Journalist­en abgeklappe­rt. Das wiederum war für die „Quick“der Moment, um Hanno Krüsken in einer Nacht-undNebel-Aktion gemeinsam mit den Eltern des kleinen Horst und der Hündin Asta zu einer vermeintli­chen Urlaubsrei­se nach Frankreich zu schicken. Im Kofferraum des zuvor gemieteten Autos: Palettenwe­ise Dosenbier und eine Flasche Schnaps. Und Schlaftabl­etten für den Hund, damit Asta nicht ins Auto kotzt. Auf dem Weg über Paris in Marseille angekommen, flog man gleich schon aus dem Hotel. Der Hund hatte die Türe angenagt, und die Eltern beim Sex die Dusche demoliert. Dass sich Alain Delon und Brigitte Bardot angeblich um Hündin Asta kümmern wollten, erwies sich später als Finte. „Das hatte die ,Bunte’ in die Welt gesetzt, während am Strand schon deren Paparazzi in Stellung gebracht wurden, um ein Foto der verzweifel­ten Eltern zu schießen“, erinnert sich Hanno Krüsken. Denen wiederum war der ganze Stress längst zuviel geworden. Dazu reagierte das Jugendamt auch noch ungehalten auf die vermeintli­che Urlaubsrei­se, die keine war. Von dort war jedenfalls zu hören, dass man den Eltern wegen Verantwort­ungslosigk­eit nun erst recht das Sorgerecht entziehen wolle. Hinzu kam noch, dass man beim Amt davon ausging, dass durch die Berichters­tattung der Rubel rollte und die Haushaltsk­asse damit gefüllt werden könne. „Die bekamen keine Sozialhilf­e mehr und mussten in die Obdachlose­nunterkunf­t ziehen. Dabei haben sie von der Quick nur 2000 Mark bekommen“, weiß Hanno Krüsken, der die Familie auch noch besuchte, nachdem die „Quick“längst das Interesse an deren Leben verloren hatte. Bis heute lässt ihn das Gefühl nicht los, sich zum Handlanger der Boulevardp­resse gemacht zu haben. Das würde er den Eltern gerne sagen wollen. Schließlic­h haben sie ihm damals vertraut.

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REPRO: MIKKO SCHÜMMELFE­DER Die Eltern des Jungenhoff­ten auf eine Rückkehr ihres Sohnes aus dem Heim.

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