Endzeitstimmung in Leverkusen
Ratlosigkeit, Frust und Wut sind nach dem 1:4-Debakel gegen den FC Schalke die bestimmenden Emotionen bei Bayer 04.
LEVERKUSEN Der deprimierende Arbeitstag der Werkself war auch nach dem Schlusspfiff noch lange nicht beendet. Mehr als 150 aufgebrachte Fans harrten vor der BayArena aus und forderten eine Aussprache mit der Mannschaft – abwechselnd mit den inzwischen fast schon obligatorischen „Völler raus!“-Rufen. Der Sportchef ist neben Geschäftsführer Michael Schade für die Anhängerschaft zum Inbegriff der Bayer-Krise avanciert. Bis nach Mitternacht diskutierten unter anderem Ömer Toprak, Lars Bender und Stefan Kießling mit den wütenden Fans.
Letzterer verstieg sich dabei zu einer Aussage, die er kaum 24 Stunden später revidierte: „Es muss sich Stefan Kießling jeder an die eigene Nase fassen. Wir müssen es schaffen, uns nicht zu zerfleischen und in Ingolstadt punkten“, sagte der 33-Jährige mit Blick auf das am kommenden Wochenende anstehende Kellerduell gegen den Vorletzten. So weit, so gut. Es folgte allerdings ein undiplomatischer Zusatz: „Und dann hauen wir die Scheiß-Kölner weg!“Der FC ist der letzte Heimspielgegner dieser desaströsen Bundesliga-Saison, die frappierend an die Spielzeit 2002/ 2003 erinnert. Damals konnte Leverkusen den Abstieg nur knapp abwenden. Zum Abschluss der laufenden Saison geht es nach Berlin.
Die deftigen Worte des Publikumslieblings fanden bei den Fans freilich großen Anklang, ehe die Blockade vor dem Stadion zu später Stunde ein friedliches Ende fand. Bereits am Samstag bedauerte Kießling allerdings seine Worte. Er habe aus der Emotion heraus gesprochen und niemanden beleidigen wollen, ließ er verlauten. Der Konter des urkölschen Idols Lukas Podolski ließ nicht lange auf sich warten. Er twitterte süffisant, dass Bayer offenbar immer noch keine Pille gegen Minderwertigkeitskomplexe erfunden habe. Wer den Schaden hat, braucht für den Spott bekanntlich nicht zu sorgen.
Kießling teilte indes auch gegen das eigene Team aus. „Wir haben bisher nicht gezeigt, dass wir dem Druck standhalten können“, sagte er. Deutlicher kann man kaum ausdrücken, dass einige Spieler offenbar an Mentalitätsproblem leiden. „Wir haben jetzt noch drei Spiele Zeit. Ich bin gespannt, ob jeder mitzieht.“Die Situation stuft Kießling als „bedrohlich“ein.
Das ist eine treffende Einschätzung – vor allem, wenn man sich die Ratlosigkeit der Verantwortlichen vor Augen führt. Von Rudi Völler waren nach der Partie die üblichen
„Wir haben bisher noch nicht gezeigt, dass wir dem Druck standhalten können“ „Wir müssen jetzt herausfiltern, wer mit der Situation umgehen kann – und wer nicht“
Rudi Völler Durchhalteparolen zu hören. Tayfun Korkut, der seit Anfang März die Werkself trainiert, sprach der Sportchef eine „absolute“Jobgarantie bis zum Saisonende aus, trotz der verheerenden Bilanz von nur sechs Punkten aus acht Spielen. „Wir dürfen uns jetzt nicht kaputtreden lassen“, sagte Völler. Die Proteste der Fans könne er gut verstehen. Jetzt gehe es darum herauszufiltern, wer mit der Situation umgehen könne – und wer nicht. Offen bleibt die Frage, auf wie viele Spieler das überhaupt noch zutrifft. Gegen Schalke erreichte im Grunde keiner Normalform. Die Körpersprache der Profis hatte mit Abstiegskampf nicht viel zu tun. Bayer 04 taumelt Richtung Relegationsplatz.
„Es muss in die Köpfe von jedem Einzelnen, dass wir in Ingolstadt ein absolutes Endspiel haben“, fordert Kießling. „Hier stehen Jobs und Existenzen auf dem Spiel. Das sollte jeder wissen.“Sein Rezept: „Schönspielerei zählt nicht mehr. Wir müssen Gas geben und jeder einzelne muss sich den Arsch aufreißen.“Kießling´scher Klartext eben.