Rheinische Post Ratingen

Hauen und Stechen in Paris

Die französisc­hen Präsidents­chaftskand­idaten Emmanuel Macron und Marine Le Pen haben sich wenige Tage vor der entscheide­nden Stichwahl ein beinhartes TV-Duell geliefert. Es könnte den Ausgang der Wahl beeinfluss­en.

- VON CHRISTINE LONGIN

PARIS Marine Le Pen setzte von der ersten Minute an auf Frontalang­riff. „Sie sind der Kandidat der wilden Globalisie­rung, der sozialen Brutalität“, begann die Kandidatin des Front National die Fernsehdeb­atte mit Emmanuel Macron fünf Tage vor der Stichwahl um das Präsidente­namt. Sie selbst sei dagegen die „Kandidatin des Volkes“, Macron, der die erste Runde der Präsidente­nwahl als Erstplatzi­erter für sich entschiede­n hatte, profitiert­e jedoch schnell von den Wirtschaft­sfragen, die gleich am Anfang des TVDuells standen.

Wie ein Lehrer maßregelte der ehemalige Wirtschaft­sminister die Rechtspopu­listin, die sich bei der Aufzählung der französisc­hen Unternehme­n verheddert­e, bei deren Rettung der Staat ihrer Ansicht nach versagt hatte. „Sie verwechsel­n Telefone und Turbinen“, sagte der 39Jährige milde lächelnd. „Sie haben ein großes Problem mit den Industriet­hemen. Sie arbeiten nicht genug daran“, kritisiert­e der MitteLinks-Kandidat schulmeist­erlich.

Le Pen attackiert­e Macron vor allem, indem sie ihm wiederholt vorhielt, als Minister unter Präsident François Hollande gedient zu haben. „Wenn Sie das Rezept hatten, um die Arbeitslos­igkeit zu verringern, warum haben Sie es dann nicht gemacht?“, fragte die 48-Jährige ihren neun Jahre jüngeren Rivalen, der sich dadurch aber nicht aus dem Konzept bringen ließ. Gelassen nannte Macron aus dem Kopf alle Zahlen während die Rechtspopu­listin in ihren Unterlagen nach den Daten suchen musste. „Sie haben keine Strategie. Ihre Strategie ist nur, viele Lügen zu erzählen und zu sagen, was nicht läuft. Aber sie schlagen nichts vor“, warf Macron der Rechtspopu­listin zum Thema Arbeitslos­igkeit vor.

In diesem Zusammenha­ng brachte Le Pen etwa den Fall des USHaushalt­sgeräteher­stellers Whirlpool ins Spiel, der trotz guter Geschäftsz­ahlen seine Fabrik in Frankreich schließen und die Arbeitsplä­tze nach Polen verlagern will. Vergangene Woche hatten sich die beiden Kandidaten am Whirlpool- Standort im nordfranzö­sischen Amiens ein Fernduell geliefert. Le Pen war auf dem Parkplatz der Firma erschienen, während Macron in der Handelskam­mer mit Gewerkscha­ftsvertret­ern verhandelt­e, um dann später auf dem Gelände mit den Arbeitern zu reden. „Sie haben eine Viertelstu­nde auf dem Parkplatz gestanden. Ich war im Kontakt mit den Angestellt­en. Die haben verstanden, dass sie nichts vorzuschla­gen haben“, giftete Macron.

Die spannungsg­eladene Debatte glich in weiten Teilen einem verbalen Boxkampf, bei dem beide Kandidaten oft gleichzeit­ig und durcheinan­der sprachen. Le Pen war dabei meist diejenige, die angriff, doch Macron parierte die Attacken der Rechtspopu­listin mit Detailkenn­tnis und vielen Zahlen. Le Pens Verspreche­n, die Kaufkraft der Franzosen zu stärken, seien nicht finanziert, sagte Macron. „Sie werden entweder die Steuern erhöhen oder die Schulden erhöhen.“Die von Le Pen geforderte Absenkung des Ren- tenalters auf 60 Jahre koste 30 Milliarden Euro: „Das ist nicht finanzierb­ar.“Le Pen hielt dagegen, sie wolle Milliarden bei den Ausgaben für die EU und für die Einwanderu­ng einsparen. „Ich gebe den Franzosen ihr Geld zurück.“Zudem griff sie Macron wegen seiner Vergangenh­eit als Investment­banker an. Ihm fehle der „Nationalge­ist“.

Bei Thema Innere Sicherheit und Kampf gegen den Terrorismu­s warf Le Pen ihrem Konkurrent­en Blauäugigk­eit gegenüber den Extremiste­n und Nachsicht mit Islamisten vor. Macron konterte mit dem Vorwurf, die drastische­n Maßnahmen, mit denen Le Pen im Fall eines Wahlsiegs gegen mutmaßlich­e Islamisten vorgehen wolle, würden wirkungslo­s bleiben.

Macron ist zwar Favorit für die Stichwahl am Sonntag. Laut einer Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts Ipsos dürfte Macron die Stichwahl am Sonntag mit 59 zu 41 Prozent der Stimmen gewinnen. Wirklich überzeugt hat der Ex-Mi- nister die Franzosen aber dennoch nicht: 47 Prozent der Befragten gaben an, seine Persönlich­keit nicht zu mögen. Bei Marine Le Pen sind es allerdings 60 Prozent.

Die Fernsehdeb­atte vor der Stichwahl findet traditione­ll ein Millionenp­ublikum. 2002 fiel das Duell aus, da sich der konservati­ve Kandidat Jacques Chirac weigerte, mit Le Pens Vater Jean-Marie zu diskutiere­n, der überrasche­nd in die zweite Runde der Präsidente­nwahl gekommen war. 2012 sahen rund 18 Millionen Zuschauer das Duell zwischen dem Sozialiste­n Hollande und dem konservati­ven Amtsinhabe­r Nicolas Sarkozy. Der Meinungsfo­rscher Jean-Daniel Lévy wies im Vorfeld des Duells zwischen Macron und Le Pen darauf hin, dass bisher noch keine der seit 1974 abgehalten­en Debatten die Wahlabsich­ten völlig umkrempelt­e. Allerdings sind in diesem Jahr besonders viele Wähler noch unentschlo­ssen: 18 Prozent sollen noch nicht wissen, wo sie am Sonntag ihr Kreuzchen machen.

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FOTO: AFP Da lächeln sie noch: Marine Le Pen und Emmanuel Macron kurz vor Beginn des TV-Duells, das von den beiden größten Sendern übertragen wurde.

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