Rheinische Post Ratingen

Briten wettern gegen Brexit-Rechnung

Die EU-Kommission erwartet harte Verhandlun­gen über den Austritt Londons.

- VON MARKUS GRABITZ

BRÜSSEL Kurz vor Beginn der BrexitVerh­andlungen heizt sich die Atmosphäre zwischen London und Brüssel auf. Verantwort­lich dafür sind auch Indiskreti­onen aus einem Abendessen, das die britische Premiermin­isterin Theresa May vergangene Woche für EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker und seinen Chefunterh­ändler, Michel Barnier, gegeben hat. Anschließe­nd hieß es, Juncker habe sich sinngemäß bei May mit der Bemerkung verabschie­det, er sei wesentlich pessimisti­scher, ob sich mit London vernünftig über den Austritt verhandeln lasse.

Barnier, der die Verhandlun­gen führen wird, zeigte sich gestern bei seinem Auftritt vor der Brüsseler Presse sehr ernst. Einige, so der Franzose, machten sich immer noch „Illusionen, dass die Verhandlun­gen schnell ablaufen könnten“und „dass sie keinen großen Einfluss auf die Zukunft hätten“. Barnier: „Dies entspricht nicht der Wahrheit.“Die EU-Seite werde „ohne Aggression­en, aber auch ohne Naivität“in die Verhandlun­gen gehen. Er ist May am vergangene­n Mittwoch das erste Mal persönlich begegnet. Er habe die Begegnung als herzlich empfunden, versuchte er, Gerüchte zu zerstreuen. Ihn, der in den französisc­hen Alpen aufgewachs­en ist, und sie verbinde die Faszinatio­n für die Berge. Er sieht Parallelen zu den Herausford­erungen, die vor ihnen liegen: „Es gilt, einen Fuß vor den anderen zu setzen, der Weg ist lang, man darf sich nicht zu früh verausgabe­n.“Seine Gesprächsp­artner in London nähmen die Gespräche nicht auf die leichte Schulter, sie seien sich der Komplexitä­t bewusst. Nachdem die 27 EU-Staaten am Samstag in großer Einigkeit die politische­n Leitlinien für die Verhandlun­gen beschlosse­n hatten, gewährte Barnier etwas mehr Einblick in seine Verhandlun­gsstrategi­e. Er will bis zum Herbst Klarheit haben, wie die gemeinsame Vergangenh­eit abgewickel­t wird. Dabei gelte es, die Rechte von 4,5 Millionen EU-Bürgern zu wahren, die vom Brexit direkt betroffen sind. Das sind Briten, die zum Zeitpunkt des Austritts auf dem Kontinent leben, oder EU-Bürger, die auf der Insel leben. Es wird noch komplizier­ter, weil auch diejenigen, die früher in Großbritan­nien gelebt und etwa Pensionsan­sprüche erworben haben, nicht schlechter gestellt werden dürften. London müsse garantiere­n, dass alle EUBürger nach fünf Jahren ein permanente­s Bleiberech­t haben, selbst wenn sie beim Austritt die fünf Jahre noch nicht voll haben.

Das zweite große Thema ist das Geld. Sind es 50 Milliarden Euro, die Brüssel fordert, oder 100 Milliarden, wie ein Medienberi­cht nahelegt? Der britische Austrittsm­inister David Davis hatte klargemach­t, dass Großbritan­nien keine 100 Milliarden Euro beim Austritt zahlen werde. Barnier betonte, es gehe weder um eine „Brexit-Rechnung“, noch solle London bestraft werden. Vielmehr müsse London bezahlen, was es als EU-Mitglied beschlosse­n habe und in der Zukunft beschließe.

Die EU-Kommission erwartet, dass die konkreten Verhandlun­gen frühestens Mitte Juni losgehen. Sie sollen im Oktober 2018 abgeschlos­sen sein, damit genug Zeit bleibt, um die Zustimmung zum Austrittsv­ertrag im britischen Unterhaus und im EU-Parlament einzuholen.

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FOTO: AFP Herr des Verfahrens: Der Franzose Michel Barnier (66) führt für die EU die Brexit-Verhandlun­gen.

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