Rheinische Post Ratingen

„Selbststän­dige müssen für Rente zahlen“

Die Arbeitsmin­isterin will in der kommenden Legislatur­periode eine Rentenrefo­rm auf den Weg bringen, um das Absinken des Rentennive­aus zu stoppen und Altersarmu­t zu bekämpfen. Selbststän­dige sollen ebenfalls Beiträge zahlen.

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Auf dem Regal im Berliner Büro der Arbeitsmin­isterin steht eine kleine Figur. Es ist ein Abbild von Andrea Nahles, hergestell­t auf einem 3-DDrucker. Die Errungensc­haften der Digitalisi­erung, ist die Ministerin überzeugt, werden auch die Arbeitswel­t grundlegen­d weiter verändern.

Frau Ministerin, sind Sie in Sorge, dass Ihre kleine Tochter eines Tages sagt: Mama, warum hast Du so viele teure Sozialrefo­rmen gemacht?

NAHLES Nein. Ich bin davon überzeugt, dass junge Leute ein großes Interesse an der Stabilität des Systems haben. Wir haben in Deutschlan­d nicht nur hohe Sozialbeit­räge, wir haben auch eine hohe Rendite und eine gute Absicherun­g. Gerade die jungen Menschen brauchen Sicherheit, was das Rentennive­au angeht. Deshalb müssen wird das Absinken des Rentennive­aus stoppen.

Das müssen aber vor allem die jüngeren Generation­en finanziere­n.

NAHLES Es ist seit Bestehen der Rentenvers­icherung so, dass die arbeitende Generation für die Renten der älteren Generation aufkommt. Aber dieser Generation­envertrag funktionie­rt nur, wenn sich die Jungen auch darauf verlassen können, dass sie auch etwas herausbeko­mmen. Wenn wir nichts machen, sinkt das Rentennive­au unter 42 Prozent und wir landen trotzdem bei 23,6 Prozent Beitragssa­tz. Die Zahlen liegen auf dem Tisch. Wenn wir aber ein auskömmlic­hes Rentennive­au festsetzen, dann landen wir bei 25 Prozent Beitragssa­tz. Die Sicherheit, dass sie eine anständige Rente bekommen, ist den Menschen dies wert.

Was muss eine Rentenkomm­ission in der kommenden Wahlperiod­e noch anpacken außer dem Rentennive­au?

NAHLES Wir brauchen die Solidarren­te: Wer jahrzehnte­lang gearbeitet hat, muss im Alter mehr haben als Grundsiche­rung. Und wer ein besonders hohes Armutsrisi­ko trägt, das sind auch Selbststän­dige. Unter ihnen finden sich nicht nur gut situierte Apotheker, Ärzte und mittelstän­dische Unternehme­r. Ich will verhindern, dass die knapp drei Millionen Selbststän­digen, die nicht in einem Versorgung­swerk abgesicher­t sind, in Altersarmu­t landen. Sie haben ein doppelt so hohes Risiko wie der Rest der Bevölkerun­g.

Sollen also Selbststän­dige in die Rentenvers­icherung einbezogen werden?

NAHLES Ich will einen fairen Deal für all jene, die nicht von Versorgung­swerken profitiere­n. Wer nicht ausreichen­d abgesicher­t ist, soll in die Rentenvers­icherung aufgenomme­n werden. Wir können nicht zuschauen, wie sie sehenden Auges in die Al- tersarmut laufen. Und es kann auch nicht sein, dass einfache Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er mit ihren Steuern dann für deren Grundsiche­rung zahlen. Selbstvers­tändlich werden wir dabei Start-up-Phasen berücksich­tigen, in denen die Belastung nicht zu groß werden darf.

Das, was Sie sagen, vertritt das der SPD-Kanzlerkan­didat auch?

NAHLES Ich bin mit Martin Schulz im Gespräch zum Wahlprogra­mm der SPD, das im Juni vorgestell­t wird. Die Stabilisie­rung des Rentennive­aus und der Schutz vor Altersarmu­t sind Teil davon.

Ist es für Sie ebenso wie für die Union ein Tabu, dass die Lohnnebenk­osten wieder über 40 Prozent des Bruttomona­tslohns steigen?

NAHLES Wer den Anteil der Lohnnebenk­osten dauerhaft nicht über 40 Prozent steigen lassen will, der muss entweder andere Finanzieru­ngsquellen auftun oder bei Rente und Gesundheit streichen. Letzteres ist mit mir nicht zu machen. Wenn wir über Lohnnebenk­osten reden, müssen wir daher erstmal wieder für eine gerechte Lastenvert­eilung zwischen Arbeitnehm­ern und Arbeitgebe­rn sorgen. Darum müssen wir auch in der Krankenver­sicherung zur Parität zurückkehr­en.

Sie sind Mitte Mai Gastgeberi­n der G20-Arbeitsmin­isterkonfe­renz. Was soll dort besprochen werden?

NAHLES Das Ergebnis unseres Dialogs zur Zukunft der Arbeit in der digitalisi­erten Welt – unser Weißbuch „Arbeiten 4.0“– ist mittlerwei­le ein internatio­naler Renner. Es hat einen Nerv getroffen, weil wir nicht nur über Technik diskutiere­n, sondern auch darüber, wie sich die Digitalisi­erung auf die Beschäftig­ten auswirkt. Das wünschen sich die G20Arbeits­minister als Hauptthema. Es geht aber auch um die Gleichstel­lung von Frauen und Männern am Arbeitsmar­kt, die Integratio­n von Migranten und um nachhaltig­e Lieferkett­en.

Werden Sie Ihren Gesetzentw­urf für ein Recht zur Rückkehr von Teilzeit in Vollzeit noch in dieser Wahlperiod­e durchbekom­men?

NAHLES Ich gebe nicht auf, solange eine Chance besteht, das durchzuset­zen. Das Recht, nach einer befristete­n Teilzeit wieder in einen Vollzeit-Job zurückzuke­hren, stärkt vor allem die Rechte der Frauen am Arbeitsmar­kt und schützt vor der sogenannte­n Teilzeitfa­lle. Ich will das Gesetz unbedingt noch in dieser Legislatur­periode verabschie­den. Bis Mitte Mai muss die Union den Haken dran machen, sonst wird das nichts mehr.

Die Union will das Rückkehrre­cht in Vollzeit nur für etwas größere Unternehme­n zulassen. Werden Sie der Union bei der Größe der Betriebe, für die das Rückkehrre­cht gelten soll, noch entgegenko­mmen?

NAHLES Dieses Rückkehrre­cht auf Vollzeit soll für alle Beschäftig­ten in Unternehme­n ab 15 Mitarbeite­rn gelten. Diese Größe steht aus gutem Grund im Gesetz. Es kann ja nicht sein, dass wir vonvornher­ein Millionen Beschäftig­te von diesem Recht ausschließ­en, indem wir die Betriebsgr­öße zur unüberwind­baren Hürde machen.

NRW hat mit 7,6 Prozent die höchste Arbeitslos­enquote unter den westdeutsc­hen Bundesländ­ern. Hat RotGrün einen schlechten Job gemacht?

NAHLES Hannelore Kraft macht einen hervorrage­nden Job. Wir haben in NRW Regionen, die brummen, aber auch solche, denen es schlechter geht. NRW hat einfach das größte Päckchen aller Länder durch den Strukturwa­ndel zu tragen. Trotzdem ist die Zahl der Langzeitar­beitslosen im letzten Jahr um 20.000 gesunken. Um für noch mehr Menschen eine Perspektiv­e am Arbeitsmar­kt zu schaffen, wollen wir in der nächsten Legislatur öffentlich geförderte Beschäftig­ung für Langzeitar­beitslose fest in das Angebot der Jobcenter mit aufnehmen. Das würde hunderttau­send Menschen eine realistisc­he Chance auf einen Neustart geben. BIRGIT MARSCHALL UND EVA QUADBECK FÜHRTEN DAS INTERVIEW.

 ??  ?? Andrea Nahles (46) ist eine Frohnatur. In der Eifel bewohnt sie einen Bauernhof, auf dem schon ihre Urgroßelte­rn lebten. 2011 brachte sie ihre Tochter zur Welt.
Andrea Nahles (46) ist eine Frohnatur. In der Eifel bewohnt sie einen Bauernhof, auf dem schon ihre Urgroßelte­rn lebten. 2011 brachte sie ihre Tochter zur Welt.

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