Rheinische Post Ratingen

„Und dann steht plötzlich dein Name auf der Straße“

- VON FABIAN WEGMANN

Was mir bei Giro d’Italia vor allem gefallen hat, sind die Tifosi, die Fans. Die Italiener sind einfach extrem stolz auf ihren Giro. Sie kennen jeden Fahrer mit Namen – auch Jahre später übrigens noch. Sie feuern jeden an, auch noch den Letzten, der über die Ziellinie fährt. Ich bin wegen dieser Mentalität der Zuschauer immer viel und gerne in Italien gefahren und habe dort auch einige Rennen gewonnen.

Was speziell den Giro für mich immer ausgemacht hat: Er war eigentlich immer familiärer als die Tour de France, die in den vergangene­n Jahren noch gigantisch­er geworden ist. Beim Giro ist man als Fahrer gefühlt noch näher an den Leuten dran, und das ist doch das Schöne. Und beim Giro konntest du dich als Fahrer noch hinsetzen in eines der Zelte am Start, noch mal gemütlich die „Gazzetta dello Sport“ lesen und einen Espresso trinken. Facetten wie diese, Facetten, wie früher mal Radrennen waren, die hat sich der Giro bewahrt.

Mein schönstes Erlebnis war – natürlich, mag man sagen – die vorletzte Etappe des 2004er Giro von Bormio nach Presolana, auf der ich mir das Bergtrikot von Damiano Cunego zurückgeho­lt habe. Damals bin ich als Zweiter der Spitzengru­ppe über den Passo del Mortirolo gefahren und habe so letztlich die entscheide­nden Punkte für den Gewinn des Bergtrikot­s geholt. Ich bin anschließe­nd zwar von einigen Fahrern überholt worden, aber eben nicht von Cunego, der damals mein größter Rivale um das Trikot war und die Gesamtwert­ung gewann.

Als ich später dann über Funk gehört habe, dass die Spitzengru­ppe über den allerletzt­en Berg war, wusste ich, dass er keine Punkte mehr holen konnte. Da habe ich mich natürlich tierisch gefreut. Als ich dann zehn Minuten später abgehängt alleine den Berg nach Presolana hochfuhr, sah ich plötzlich meinen Namen auf dem Asphalt stehen, weil fünf Kumpels aus Münster angereist waren und die Straße bepinselt hatten. Das war unglaublic­h, weil ich so mein Glücksgefü­hl auch noch mit anderen teilen konnte. Das ist eine Erinnerung, die bleibt ein Leben lang.

Denn es war ja beileibe nicht so, dass ich damals mit 23 bei meiner ersten großen Rundfahrt der Überfliege­r in den Bergen war und reihenweis­e die ganz großen Namen abgehängt habe. Ich bin halt auf sechs Etappen in der Spitzengru­ppe gewesen und habe so halt meine Pünktchen für die Bergwertun­g zusammenge­sammelt. Das Trikot habe ich eingerahmt, und es hängt heute unten in meinem Fahrradkel­ler. Es hat vorher in meiner alten Wohnung in der Küche gehangen, aber so ist es okay jetzt.

Was dem Giro hier in Deutschlan­d einfach fehlt, ist im Vergleich zur Tour de France die mediale Aufmerksam­keit. Ich habe bei der Tour 2005 ja nur mal für zwei Tage das Bergtrikot getragen. Das hat mehr Brimborium erzeugt als der Gewinn des Giro-Trikots ein Jahr zuvor.

Aber ich habe nicht nur gute Erinnerung­en an den Giro. 2014 hatte ich dort meinen schlimmste­n Unfall, als ich mir beim Sturz auf der Abfahrt die komplette Oberschenk­elmuskulat­ur samt der Sehnen im linken Bein gerissen habe und ich drei Monate pausieren musste.

Der Giro ist und bleibt halt immer auch ein Rennen der Extreme. Der Autor war Radprofi von 2002 bis 2016. Seine größten Erfolge waren der Gewinn des Bergtrikot­s beim Giro d’Italia 2004 sowie drei Deutsche Meistertit­el im Straßenren­nen (2007, 2008, 2012). Heute arbeitet er als Botschafte­r für das Radrennen „Sparkassen Münsterlan­d Giro“.

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FOTO: IMAGO Fabian Wegmann 2004 im damals noch grünen Trikot des besten Bergfahrer­s beim Giro d’Italia.

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