Rheinische Post Ratingen

Fall Niklas: Urteil „katastroph­ales Zeichen“

Der Freispruch für den Angeklagte­n im Fall des zu Tode geprügelte­n Niklas ist für viele Bonner ein Beweis für eine schwache Justiz. Die Behörden kämpfen vor Ort gegen ein diffuses Gefühl der Unsicherhe­it.

- VON CLAUDIA HAUSER UND FRANZISKA HEIN

BAD GODESBERG Im Gerichtssa­al ist es still, als Richter Volker Kunkel das Urteil verkündet. Niklas’ Mutter hat es kommen sehen, alle in diesem Saal haben es kommen sehen – Freispruch für Walid S.. Der 21-Jährige war vor dem Bonner Landgerich­t wegen gefährlich­er Körperverl­etzung mit Todesfolge angeklagt, weil er den damals 17-jährigen Niklas P. am 7. Mai 2016 so gegen die Schläfe geschlagen haben soll, dass dieser fünf Tage später in der Bonner Uniklinik starb. Er selbst hatte stets ausgesagt, noch nicht mal am Tatort gewesen zu sein. Und die Richter zweifeln auch daran, dass S. der Täter von damals ist.

Niklas’ Mutter lauscht dem Urteil, ohne zu zucken. Ihr Anwalt Thomas Düber sagt später, sie habe bis zuletzt die Hoffnung gehegt, das Verfahren könne ihr Gewissheit über den Tod ihres Kindes bringen. Walid S. zeigt keine Erleichter­ung über den Freispruch. Für eine andere Schlägerei bekommt er eine achtmonati­ge Einheitsju­gendstrafe. Die hat er aber verbüßt. Fast ein Jahr saß er in Untersuchu­ngshaft.

Der Richter möchte der Öffentlich­keit noch ein paar Dinge sagen, die nicht Teil einer juristisch­en Urteilsbeg­ründung sind. „Personen aus der Politik, den Medien und der Kirche haben den Fall Niklas instrument­alisiert, um sich zu profiliere­n.“Er findet auch die mediale Aufmerksam­keit unverhältn­ismäßig. Der Fall sei in seiner Bedeutung für Bad Godesberg völlig falsch eingeschät­zt worden. Der Bonner Stadtteil sei kein Brennpunkt. „Aber allen ist klar geworden, dass man etwas gegen Jugendgewa­lt tun muss.“

Die Frage ist berechtigt, warum der Fall Niklas die Godesberge­r mehr aufwühlt als zum Beispiel eine tödliche Messerstec­herei unter Jugendlich­en im Stadtteil Heiderhof im vergangene­n Herbst. Niklas ist auch über Godesberg hinaus zum Synonym für Gewalt von jugendlich­en sogenannte­n Intensivtä­tern mit Migrations­hintergrun­d geworden. Sein Tod war eine Attacke auf die gutbürgerl­iche Lebenswelt der Godesberge­r. Und so hat auch der Richter wahrgenomm­en, dass die Öffentlich­keit einen Schuldigen sehen wollte. Er spricht von der „Dämonisier­ung des Angeklagte­n“. „Als Schläger gehört er bestraft, egal wofür“, so gibt er die öffentlich­e Erwartungs­haltung wieder.

Am Tatort erinnern nach einem Jahr noch Blumen, Kerzen und Fotos an Niklas’ Tod. Eine Frau stellt einen Topf Margeriten auf das Rondell, an dem es zu dem Streit zwischen den beiden Gruppen Jugend- licher kam. Barbara Engel lebt und arbeitet in Bad Godesberg. „Für mich ist das Urteil ein katastroph­ales Zeichen“, sagt die 53-Jährige. „Es ist ein Zeichen dafür, dass es das perfekte Verbrechen gibt.“Walid S. sei einschlägi­g vorbestraf­t. Die Tat ist für sie eine „Kumulation der Gewalt, die es vorher schon gab und die nicht besser wird“. Diejenigen, die sich im Stadtteil nicht an Regeln halten wollten, könnten sich durch das Urteil in ihrem Tun bestätigt fühlen, sagt Engel. So wie sie nehmen auch andere Passanten den Freispruch auf. Überall ist zu hören, „es hätte auch unsere Familie treffen können“.

Die Behörden haben nach der Tat versucht, die Situation in dem Bonner Stadtteil zu beruhigen. Es gab vorher immer wieder Banden Jugendlich­er, die innerhalb kurzer Zeit viele Taten begangen haben, sagt Frank Piontek von der Bonner Polizei. Die Beamten zeigten an den Abenden und an Wochenende­n Präsenz rund um den Bahnhof, in den Parks und am Rheinufer. Laut Statistik gab es in Bad Godesberg 2015 68 Fälle von Gewalt unter Jugendlich­en, 2016 waren es 65. „Mitten in Bad Godesberg ist ein junger Mensch zu Tode gekommen – das bekommt man aus den Köpfen nicht einfach weg, da müssen wir den Leuten nicht mit Zahlen kommen“, sagt Piontek.

Die Wählervere­inigung „Die Godesberge­r“etwa setzt sich unter anderem für mehr Videoüberw­achung ein. Auch der Richter hatte am Vormittag in der Urteilsbeg­ründung davon gesprochen, dass eine Videokamer­a am Tatort die Aufklärung begünstigt hätte. Die Bonner Polizei hatte sich 2016 jedoch gegen eine Videoüberw­achung von öffentlich­en Plätzen ausgesproc­hen.

Unklar ist, ob die Mutter von Niklas P. Revision einlegen wird. Das werde erst nach seinem ersten Todestag entschiede­n, sagt ihr Anwalt.

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FOTO: DPA Blumen und Kerzen sind neben einem Holzkreuz an der Stelle aufgestell­t, an der der später verstobene Niklas P. von Schlägern attackiert wurde. Der Hauptangek­lagte wurde freigespro­chen.
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FOTO: DPA Der Hauptangek­lagte Walid S. im Landgerich­t.

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