Rheinische Post Ratingen

Die Freiheit der Strichmänn­chen

Der große deutsche Maler A. R. Penck ist im Alter von 77 Jahren nach langer Krankheit in Zürich gestorben. Er galt als einer der Gründervät­er der „Neuen Wilden“. Von 1988 an wirkte er als Professor an der Kunstakade­mie Düsseldorf.

- VON WOLFRAM GOERTZ

ZÜRICH Es war ein fortwähren­der Anlauf, eine Sisyphosar­beit, kein bisschen glücklich, sondern grimmig, mit Wut im Bauch. Anfangs wollte er ein ganz Korrekter sein,mit Examen und Studienbuc­h, mit allen Regularien des Staates, aber dieser Staat ließ ihn nicht ran. Die DDR fand alles, was A. R. Penck tat, suspekt. Er durfte nicht studieren. Der Verband der Bildenden Künstler verwehrte ihm die Mitgliedsc­haft. Um Geld zum Leben zu haben, verdingte er sich als Heizer, Briefträge­r, Nachtwächt­er. Der Staat machte

Die künstleris­che Unabhängig­keit war für Penck extrem wichtig – in der DDR wurde sie ihm verwehrt

ihm das Leben schwer. Mehr und mehr kümmerte sich die Stasi um ihn; seine Bilder wurden beschlagna­hmt. Auch darin zeigte sich beispielha­ft das Totalitäre der DDR.

Aber A. R. Penck, 1939 in Dresden geboren, ließ sich nicht beirren, auch das gehörte zum Selbstvers­tändnis dieses wilden Malers, der unter dem Schirm der maximalen künstleris­chen Unabhängig­keit vermutlich gern zum Establishm­ent gehört hätte. Doch Penck, der eigentlich Ralf Winkler hieß, musste draußen bleiben, erst recht, als er wichtige Preise aus dem bösen Westen bekam.

Dann freundete er sich mit dem Kollegen Jörg Immendorff an, und beide kritisiert­en den DDR-Staat auf ihre Weise: Sie forderten die Abschaffun­g der innerdeuts­chen Grenze und setzten sich für Dissidente­n ein, darunter Robert Havemann und Rudolf Bahro. Man musste nicht detektivis­ch begabt sein, um zu ahnen, wer hinter einem Einbruch in Pencks Galerie steckte, bei dem etliche seiner Arbeiten vernichtet wurden. Und dann holte die DDR ihre letzte Daumenschr­aube hervor und bürgerte Penck aus. Der landete dann, es war das Jahr 1980, im Rheinland. Das war für beide ein Segen. Im Jahr 1988 wurde er Pro- fessor für Malerei an der Kunstakade­mie Düsseldorf.

Penck war mit allen Ehren dekoriert, mehrfach war er bei der „documenta“zu Gast, er stellte in der ganzen Welt aus – und weil ein Sisyphos nicht zu den Honoratior­en der Zivilisati­on zählt, etikettier­te man Penck kurzerhand als einen der „Neuen Wilden“. Dazu kam es aber auch, weil Penck ein ganz großartige­r Jazzschlag­zeuger war, der einen ungeheuren Drive hatte und dabei auch höllisch Lärm machen konnte; Penck, der mit den Saxofonist­en Frank Wright und Frank Lowe spielte, machte dem Begriff des „Free Jazz“alle Ehre.

Und so wie er trommelte, malte er auch. In seinen Männchen vereinte und versöhnte er die Welt, die trotzdem etwas Archaische­s behielt. Seine spezifisch­e Kunst, die von Nahem und aus der Ferne immer an Höhlenmale­rei erinnerte, äußerte sich zum Teil karg, zum Teil labyrinthi­sch. Man konnte, wenn man einen Penck betrachtet­e, tatsächlic­h in die Irre gehen, aber es waren Irrgänge, in denen man nicht verloren ging. Pencks Gemälde muten bei aller Kraft, bei aller Hemmungslo­sigkeit des Farbauftra­gs, bei aller Breite des Strichs immer sehr geordnet an, es war mitunter ein fast bürgerlich­es Chaos, das er auf den Leinwänden anrichtete. Das liebte man an ihm: das Pastose, das gleichwohl die Ordnung nicht verlor.

Trotzdem hatte Penck einen Horror davor, kunstbegri­fflich und konsumente­nhaft vereinnahm­t zu werden wie beispielsw­eise Keith Haring. Pencks Strichmänn­chen waren Individuen mit dem Hang zur Renitenz, keines sah aus wie ein anderes, jedes wollte erkannt, gewürdigt, entschlüss­elt werden. Jedes von ihnen hielt letztlich – so darf man wohl sagen – das Banner der Freiheit hoch. Mit Pencks Bildern wurde man nicht immer fertig, man hatte etwas zu rätseln. Sie zogen einen an und ließen einen doch ratlos zurück. Sehr gern unternahm man dann neue Anläufe zu ihm. Auch deshalb war dieser „Wilde“im gewissen Sinne sogar volkstümli­ch und sehr beliebt.

Jetzt ist Penck 77-jährig nach langer Krankheit in Zürich gestorben, teilte die Galerie Michael Werner gestern Abend mit. Der Kölner Galerist Werner hatte Penck entdeckt und erstmals im Westen ausgestell­t.

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FOTO: ANDREAS PROBST Die Arbeiten von A. R. Penck wollen bestaunt, bewundert, enträtselt werden – und doch geben sie nie alles von sich preis.
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FOTO: DPA Ralf Winkler alias A. R. Penck im Jahr 2011 in Düsseldorf.

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