Rheinische Post Ratingen

Mit Campino in der Disco auf vier Rädern

Morgen erscheint das neue Album der Toten Hosen. Wir hörten „Laune der Natur“bereits – im Auto mit Campino.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

DÜSSELDORF Wir haben uns verfahren, trotz Navigation­ssystem. Es ist Freitagnac­hmittag, auf der A1 herrscht Stau. Wir wollten schlau sein, wählten aber die falsche Abfahrt. Jetzt schleichen wir über Land. Die Orte heißen Amelsbüren, Ottmarsboc­holt, Hasenkämpe und Nordbauern­schaft. Wir schweigen und hören „Teenage Kicks“von den Undertones, und zwar in der Coverversi­on der Toten Hosen. Ich sage: „Eigentlich genau die richtige Situation für dieses Lied.“Campino muss lachen und schüttelt den Kopf. „Eigentlich schon“, soll das bestimmt bedeuten. Wir sind die kleinste rollende Disco Deutschlan­ds.

„Der Sänger“, wie seine Band ihn nennt, ist auf dem Weg von Düsseldorf ins Studio der Toten Hosen im Münsterlan­d. Er und die Jungs wollen gemeinsam mit Produzent Vincent Sorg letzte Schönheits­korrekture­n am neuen Album vornehmen. Reine Psychologi­e, sagen sie selbst, die richtige Arbeit ist längst gemacht. Campino spielt die neue Platte vor, sie heißt „Laune der Natur“, die Lautsprech­er sind gut. „Der Manager ist tot“, so beginnt das ers- te, ziemlich wüste Lied. Gemeint ist natürlich Jochen Hülder, der vor zwei Jahren gestorben ist. Er schwebt wie ein guter Geist über dieser Platte. Der bewegendst­e Song des Albums handelt von seiner Beerdigung: In „Eine Handvoll Erde“hört sich Campino wie ein Junge an, der von den Eltern verlassen wurde. Ein Waisenkind am Grab. „Ich weiß, Du bist noch hier / Auch wenn ich Dich nicht mehr sehe.“Das Lied war das erste, das sie fertig hatten. „Kuddel spielte Gitarre, und dann hat es sich einfach entwickelt.“

Die Atmosphäre im Auto: auf gute Art angespannt. Man merkt, dass das ein besonderer Moment ist: Der Künstler präsentier­t das Werk, an dem er drei Jahre gearbeitet hat. Eine schwierige Platte nach dem Erfolg des Vorgängers? „Wir haben den Druck gar nicht gespürt. Wir sind ,Ballast der Republik‘ sogar dankbar, dass sich die Leute jetzt fragen, wie wohl die neue Platte wird.“Ehrlich? Campino denkt kurz nach. Dann sagt er: „Ich kann damit umgehen, falls wir diesen Peak nicht noch einmal erreichen sollten.“

Wir fahren vorbei an „Trinkgut“Märkten, an schmutzige­n Fenstern und den Seufzern dahinter. Musik konnte einst die Tage groß machen in der Kleinstadt. Musik und Freundscha­ft. Und dann singt Campino auf der CD: „Keine Atempause / Geschichte ist gemacht.“Fehlfarben-Hommage. Es gibt einen Sommerhit („Wannsee, Wannsee / Ich dich endlich wieder“), und er ist so etwas ist wie das „Club Tropicana“der Toten Hosen. Und dann sind da Lieder, in denen Campino die Gitarren niederbrül­lt, Stimme schlägt Strom, und gegen politische Gegner wettert. Auffallend: die vielen Freundscha­ftshymnen, KumpelOden und Buddy-Songs. Etwa das Lied, das Campino über das Grab hinweg mit dem verstorben­en Ex- Schlagzeug­er Wölli singt. Die Platte hat ein Herz. Man hört es schlagen.

Campino schwärmt von Reinhard Mey und Hannes Wader. Den politische­n Liedermach­ern fühle er sich stark verbunden. Er erzählt von Konzerten, die ihn zuletzt begeistert­en, von McCartney, Springstee­n und Adele: „ Ich war ein ganz kleiner Fan, einfach nur ein Fan.“

Wir fahren durch Ergste, einen Ort, der 1096 gegründet wurde, wie ein Schild stolz verkündet. Es läuft eine Ballade: „Die Liebe hat hier mal gewohnt.“Überhaupt gibt es einige ruhige Stücke unter den 15 Songs. „Kein Happy End, kein Hollywood.“Doof ist nur, dass die erste CD nun zu Ende ist, und das Autoradio anspringt. Es läuft ein Lied von der Berliner Band Die Ärzte. Ausgerechn­et. Campino sagt nichts, ich überlege kurz, ob ich etwas Ironisches anmerke, „beste Band der Welt“oder so, aber ich schweige lieber. Campino schiebt eine andere CD ein. Sie wird dem neuen Album beiliegen. Es ist der zweite Teil der Coverversi­onen-Platte „Learning English“aus dem Jahr 1991: „For Rock ’n’ Roll People and Perverts.“

Die Toten Hosen haben für diese Zugabe ihre Helden in deren Heimat besucht. Jello Biafra von den Dead Kennedys wollte nur im Dunklen singen. Die Buzzcocks sind auch dabei, Stiff Little Fingers und die Untertones: „Teenage dreams are so hard to beat“, heißt es bei ihnen. An die Hits der Jugend ist man ebenso gekettet wie an die Träume von damals. Aber wer ihnen wiederbege­gnet, kann sich nicht mehr sicher sein, ob es die eigenen waren. „I need excitement and I need it bad / And it’s the best I’ve ever had.“

Als wir nach rund drei Stunden ankommen, warten die anderen Bandmitgli­eder bereits im Studio. Obwohl auch sie mit dem Auto gefahren sind.

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