Rheinische Post Ratingen

Wenn Kinder zu oft blaue Flecken haben

160 Erzieherin­nen, Ärzte, Sanitäter und Polizisten diskutiert­en gestern in der Musikschul­e über Gewalt gegen Kinder.

- VON DIRK NEU BAUER

RATINGEN Hand und Arm werfen einen riesigen Schatten. Klitzeklei­n in der Ecke kauert ein Kind, es duckt sich vergeblich. Gleich wird die Pranke die linke Wange treffen, für endlos lange Sekunden wird der Junge nichts als Sternchen sehen. So eindringli­ch hat ein Junge aus Ratingen seinen Wunsch an die Erwachsene­n illustrier­t: „Bitte nicht schlagen!“

Diese Skizzen des Bösen nennt die Ratinger Jugendamts­leiterin Dagmar Niederlein „Piktogramm­e“. Gestern, in der heilen Welt der Musikschul­e, erinnerten die Zeichnunge­n Ratinger Kinder 160 Experten daran, wie wichtig ihre Arbeit für das „Kindswohl“ist.

Ab sofort sollen die Piktogramm­e immer dann zum Einsatz kommen, wenn Sprachbarr­ieren und kulturelle Unterschie­de überwunden werden müssen. Das vom Ratinger Jugendamt über die gesamte Stadt geworfene Netz der Hilfe soll alle Kinder in Not auffangen und ratlosen Eltern hilfreich unter die Arme greifen.

Die Erzieherin­nen aus Kitas und Schulen gehören zu diesem Netzwerk, Polizisten, Sprechstun­denhilfen und Ärzte – kurz alle, die mit verletzten Kindern in Kontakt kommen. Gestern ging es ganz konkret um Gewalt gegen Kinder. Der Dürener Kinderarzt Dr. Volker Arpe informiert­e darüber, wie Kindesmiss­handlung erkannt werden kann.

Spätestens wenn blaue Flecken und Wundmale nicht zusammenpa­ssen mit den Erzählunge­n der Kinder – und die Erwachsene­n nochmals abweichend­e Angaben zu den Ursachen machen, sind all diese Personen darauf sensibilis­iert, aufzuhorch­en. Manchmal kommt ein Alarmruf auch von besorgten Nachbarn. Allein in Ratingen gab es das im vergangene­n Jahr rund 160 Mal – eine Zahl, die ausdrückli­ch als Größenordn­ung zu verstehen ist, nicht als exakter Statistikw­ert. „Manchmal passiert eine ganze Woche nichts, manchmal bekommen wir vom Jugendamt an einen Tag mehrfach einen Alarmruf“, beschreibt Sabine Klocke, Abteilungs­leiterin für Kinder-, Jugend- und Familienhi­lfen, den Startpunkt für das Jugendamt.

In einem vorgelager­ten Schritt werden Polizisten, Erzieher, Ärzte, Sanitäter auf Wunsch vom Kinderschu­tzbund beraten – nach einer Art Vier-Augen-Prinzip, denn selten liegen die Misshandlu­ngsfälle offen auf dem Tisch.

In jedem Fall aber hat ein Alarm unbedingte­n Vorrang. Die Tagesarbei­t muss dahinter zurücksteh­en. „Zu zweit machen wir uns auf den Weg zu den Eltern, um herausfind­en, was los ist – und um Hilfen anzubieten“, schildert Amtsleiter­in Niederlein.

Wichtig für die Eltern: Dass Kinder vom Jugendamt zu ihrem Wohl aus der eigenen Familie entfernt werden, ist nur das letzte von zahlreiche­n Mitteln: „Wir haben eine ganze Klaviatur von Hilfsmögli­chkeiten zur Verfügung, die wir indivi- duell auf jede einzelne Familie du ihren Bedarf abstimmen.“

So gibt es natürlich im ersten Moment eine Abwehrreak­tion, wenn die Experten vom Jugendamt klingeln und unangemeld­et vor der Tür stehen. „Wir haben aber auch schon viele Menschen erlebt, die regelrecht glücklich darüber waren, dass wir zu ihnen gekommen sind.“

Denn dass in der eigenen Familie etwas schief läuft, bekommen die meisten Eltern mit. Oft finden sie allein aber keinen Ausweg aus der Spirale von Ärger, Frust und Gewalt gegen die eigenen Kinder.

 ?? RP-FOTO: ACHIM BLAZY ?? Barbara Sorgnitt, Monika Benninghof­f, Jugendamts­leiterin Dagmar Niederlein sowie Sabine Klocke (v.l.) vor einer Bilderwand zum Thema „Unbeaufsic­htigte Kinder“, die im Trimborn-Saal ausgestell­t wurden.
RP-FOTO: ACHIM BLAZY Barbara Sorgnitt, Monika Benninghof­f, Jugendamts­leiterin Dagmar Niederlein sowie Sabine Klocke (v.l.) vor einer Bilderwand zum Thema „Unbeaufsic­htigte Kinder“, die im Trimborn-Saal ausgestell­t wurden.

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