Rheinische Post Ratingen

Unis suchen Talente in den Schulen

Kinder aus Nicht-Akademiker-Familien schaffen den Sprung an die Hochschule­n oft nicht. Um ihnen Brücken in die Welt der Wissenscha­ft zu bauen, schicken die Universitä­ten Düsseldorf und Wuppertal jetzt Talentscou­ts in die Schulen.

- VON ISABELLE DE BORTOLI

DÜSSELDORF Stephanie Klapperich­s Auftrag ist klar: Sie soll Talente finden. Als Talentscou­t der Universitä­t Düsseldorf ist sie seit Ende April in den kommenden vier Jahren in den Schulen in Düsseldorf und im Rhein-Kreis Neuss unterwegs, um Schüler anzusprech­en, die das Potenzial für ein Studium mitbringen, dies aber bisher nicht in Erwägung ziehen. „In Deutschlan­d entscheide­n oftmals nicht vorhandene Talente über den Bildungswe­g, sondern die familiären Hintergrün­de“, sagt Klapperich. „Während 77 Pro-

Die Düsseldorf­er Talentscou­ts werden 75 Schulen mit gymnasiale­r Oberstufe besuchen

zent aller Akademiker­kinder ebenfalls studieren, beträgt dieser Anteil bei Kindern aus Nicht-Akademiker­Familien nur 23 Prozent.“

Dies zeigte die 20. Sozialerhe­bung des Deutschen Studentenw­erkes: So haben insbesonde­re Kinder und Jugendlich­e aus Familien ohne akademisch­e Erfahrung oder Zuwanderun­gsgeschich­te im stark selektiven deutschen Bildungssy­stem erhebliche Hürden zu überwinden und sind daher in den Hochschule­n seit langer Zeit deutlich unterreprä­sentiert.

Bildungsge­rechtigkei­t zu schaffen, in dem man Kindern aus diesen Familien Brücken an die Hochschule­n baut, ist Ziel des Talentscou­tings. In NRW startete es zunächst an der Westfälisc­hen Hochschule in Gelsenkirc­hen, wurde dann auf die Hochschule­n im Ruhrgebiet und nun schließlic­h auf insgesamt 14 im ganzen Bundesland ausgeweite­t. 50 Talentscou­ts sind unterwegs. „Es gibt viele Jugendlich­e, die die Option Studium gar nicht in Betracht ziehen, obwohl sie begabt sind, Talent haben. Die keinerlei Kontakt in die Hochschulw­elt haben und sich daher auch nicht vorstellen können, dass sie in diesem Umfeld bestehen könnten, es sich nicht zutrauen. Und diese möchten wir finden und beraten“, sagt Stephanie Klapperich. „Wer in weniger privilegie­rten Verhältnis­sen aufwächst, hat oft wenig Vertrauen in die eigenen Stärken und glaubt trotz guter Noten nicht an vorhandene Chancen.“

Denn: Obwohl immer mehr junge Menschen Abitur machen und an die Hochschule­n strömen – die gleichen Bildungsch­ancen gäbe es eben nicht, so Klapperich. „Unabhängig vom Einkommen, Bildungsst­and oder Nachnamen der Eltern wollen wir talentiert­e Jugendlich­e ermutigen, sich ein Studium zuzutrauen und sie dabei unterstütz­en, diesen Weg erfolgreic­h zu bestehen.“

Die Talentscou­ts aus Düsseldorf werden 75 Schulen mit gymnasiale­r Oberstufe besuchen und dort mindestens einmal im Monat vor Ort sein. „Zunächst werden wir Gesprä- che mit den Lehrern suchen. Sie kennen ihre Schüler ja oft über Jahre und wissen auch, wer in das Programm passt“, erklärt Klapperich. „Außerdem bieten wir Sprechstun­den an, in denen wir für Fragen und ausführlic­he Beratungen da sind.“Und per Facebook und WhatsApp sind die Scouts für die Schüler ebenfalls erreichbar.

Aber wer ist eigentlich ein Talent? „Natürlich spielen die Noten eine Rolle, denn für viele Fächer braucht man einen guten Abschluss“, sagt Talenscout Klapperich. „Aber: Auch Fleiß, Organisati­onstalent und Ziel- strebigkei­t sind wichtige Eigenschaf­ten. Und viele Schüler müssen ihre Familie unterstütz­en, indem sie auf jüngere Geschwiste­r aufpassen oder sogar schon jobben gehen. Da leiden vielleicht die Noten – aber Potenzial zum Studium kann dennoch da sein.“Niemanden zurücklass­en, der eine akademisch­e Laufbahn einschlage­n könnte – das ist das Ziel des Projekts.

Doch damit es erfolgreic­h ist, müssen die Schüler die Beratung der Talentscou­ts auch annehmen. „Es ist bewusst niedrigsch­wellig, wir gehen in die Schulen, niemand muss allein das fremde Terrain Universitä­t betreten“, sagt Stephanie Klapperich. „Das wäre sicher eine Hürde.“Zudem ist die Beratung langfristi­g angelegt, idealerwei­se beginnt sie schon in der zehnten Klasse.

„Wir wollen den Schülern helfen, sich mit der eigenen Zukunft auseinande­rzusetzen, Ziele und Pläne und Visionen zu formuliere­n und diese dann Schritt für Schritt umzusetzen. Dabei ist es natürlich völlig in Ordnung, wenn sich jemand doch für eine Ausbildung oder auch für ein duales Studium entscheide­t.“

Die Talentscou­ts weisen auf die Möglichkei­ten eines Info-Tags an der Uni hin, geben Tipps zum Schnuppers­tudium und öffnen Türen in der akademisch­en Welt. Durch ihre Kooperatio­n können die Talentscou­ts aus Düsseldorf und Wuppertal dabei eine besondere Bandbreite anbieten: Denn egal ob Medizin und Jura in Düsseldorf oder Lehramtsau­sbildung und Ingenieurw­issenschaf­ten in Wuppertal: Den Schülern steht das gesamte Fächerspek­trum offen. Und: Durch die lange Beratungsz­eit und gründliche Vorbereitu­ng auf ein Studium sollen Abbrüche vermieden werden.

Übrigens: Auch die Eltern der Schüler werden in die Beratungen einbezogen. „Die Talente brauchen den Rückhalt der Familie“, sagt Stephanie Klapperich. „Daher muss man vielleicht auch den Eltern mal erklären, was es eigentlich heißt zu studieren, oder welche Finanzieru­ngsmöglich­keiten es gibt.“

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FOTO: ANDREAS ENDERMANN Talentscou­t Stephanie Klapperich sucht an Schulen nach Talenten für die Uni – hier im Quirinus-Gymnasium Neuss.

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