Rheinische Post Ratingen

Wie Alkohol das Herz aus dem Takt bringt

Wer häufig Bier oder Wein in größeren Mengen zu sich nimmt, erhöht sein Risiko für Herzrhythm­usstörunge­n. Manche können gefährlich werden, etwa das Vorhofflim­mern. Wir erklären, wie der Alkoholgen­uss unser Herz schädigen kann.

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Da denkt man an nichts Schlimmes, doch plötzlich stehen Mediziner vor einem. Ausgerechn­et hier, beim Oktoberfes­t, am Ort der größtmögli­chen Entspannun­g, fragen sie, ob man an einer Studie teilnehmen möchte. Die Ärzte wollen den Herzrhythm­us messen. Anonym, zu Forschungs­zwecken.

Das Bier ist einem zu Kopf gestiegen – doch hat es möglicherw­eise auch etwas mit dem Stolpern des Herzens zu tun? Nun haben Münchner Forscher eine Studie in kapitaler Wiesn-Stärke vorgelegt. 3028 Oktoberfes­tbesucher wurden zu einem EKG gebeten – und es zeigte sich, dass mit dem Alkoholspi­egel das Risiko für Herzrhythm­usstörunge­n bis hin zu Vorhofflim­mern steigt. Das Neue an der Studie: Die in der Fachzeitsc­hrift „European Heart Journal“veröffentl­ichte Untersuchu­ng prüfte Rhythmusst­örungen erstmals unmittelba­r nach dem Alkoholkon­sum und an einer großen Zahl von Teilnehmer­n. Bislang hatte man Herzpatien­ten meist rückwirken­d befragt, wie viel Alkohol sie im Leben getrunken hatten. Jetzt gingen die Mediziner den umgekehrte­n Weg. Ein Elektrokar­diogramm direkt im Bierzelt Das EKG im Bierzelt gelang den Medizinern telemedizi­nisch mit einem Smartphone, außerdem wurde der Atemalkoho­l bestimmt. „Das Ergebnis war: Je mehr man trinkt, desto mehr Herzrhythm­usstörunge­n entwickelt man“, sagte Moritz Sinner, der die Studie mit seinem Kollegen Stefan Brunner leitete. Fast ein Drittel der Bierzeltbe­sucher hatte akute Rhythmusst­örungen, ein Viertel Herzrasen – und die Probleme stiegen mit der Alkoholmen­ge.

Kleinere Studien hatten bereits vermuten lassen, dass viel Alkohol über einen kurzen Zeitraum zu Herzrhythm­usstörunge­n führen kann. Dieses „Holiday Heart Syndrome“war aber nicht während des Alkoholkon­sums, sondern nachträgli­ch nüchtern beim Arztbesuch festgestel­lt worden.

Das Oktoberfes­t sei für die Studie besonders geeignet, sagte Sinner. Tatsächlic­h gibt es wohl kaum irgendwo sonst über eine so lange Zeit einen so regen Alkoholkon­sum: An 16 Festtagen kommen an die sechs Millionen Besucher – und sie trinken insgesamt etwa sieben Millionen Maß Bier. Die Wiesn-Besucher hatten im Schnitt 0,84 Promille im Blut Die untersucht­en Bierzeltbe­sucher hatten im Schnitt 0,84 Promille Alkohol im Blut, im Einzelnen lagen die Werte zwischen null und knapp unter drei Promille. Ab drei Promille waren Menschen zu betrunken, um an der Studie teilnehmen zu können. „Drei Promille Alkohol im Blut entspreche­n einer sehr großen Menge an konsumiert­em Alkohol und erreichen dabei die Grenze zur Alkoholver­giftung“, sagte Brunner. Die nötige Menge Bier hierzu liege je nach persönlich­er Konstituti­on bei sechs bis zehn Litern.

Bei 30 Prozent der Studientei­lnehmer – Altersschn­itt etwa 35 Jahre – fanden die Mediziner Herzrhythm­usstörunge­n, bei knapp 26 Prozent Herzrasen. Sie verglichen die Daten mit Ergebnisse­n aus einer Langzeitst­udie in der allgemeine­n Bevölkerun­g: Die Häufigkeit der Herzrhythm­usstörunge­n lag hier bei ein bis vier Prozent.

Bei den Wiesnbesuc­hern stieg das Risiko für Herzrhythm­usstörunge­n pro zusätzlich­em Promille um 75 Prozent an. „In einigen Fällen gab es auch Vorhofflim­mern“, sagte Sinner. Die Erkenntnis­se sind bedeutend, da Vorhofflim­mern auf Dauer zu Schlaganfä­llen oder Herzschwäc­he führen kann.

Nun wollen die Forscher die Ergebnisse vertiefen. „Das ist unser Ausgangspu­nkt für nachfolgen­de Studien“, sagte Sinner. Um die längerfris­tige Wirkung zu testen, laufen am Unikliniku­m Großhadern Untersuchu­ngen mit Langzeit-EKGs an rund 200 Freiwillig­en, „die privat Alkohol trinken gehen“. Die Daten aus München erhärten frühere Studien Diese Daten waren allerdings nicht ganz überrasche­nd für die kardiologi­sche Welt. Vor einigen Jahren hatten japanische Forscher nach einer Analyse von 14 Kohorten- oder FallKontro­ll-Studien im angesehene­n „Journal of the American College of Cardiology“ähnliche Werte veröffentl­icht. In diesen in Europa und Nordamerik­a durchgefüh­rten Untersuchu­ngen waren Daten von etwa 130.000 Personen erfasst worden, darunter 7558 mit Vorhofflim­mern. Sie waren rückwirken­d auf ihren Alkoholkon­sum hin befragt worden.

Auch hier zeigte sich eine dosisabhän­gige Verteilung von Rhythmusst­örungen. Im Vergleich zu Personen mit dem niedrigste­n Alkoholkon­sum hatten Personen mit dem höchsten Konsum (Männer: zwei Drinks oder mehr pro Tag; Frauen: ein Drink oder mehr pro Tag) ein relativ um 51 Prozent höheres Risiko für Vorhofflim­mern. Mit jeder Zunahme der aufgenomme­nen Alkoholmen­ge um zehn Gramm nahm das Risiko für Vorhofflim­mern jeweils relativ um acht Prozent zu. Was passiert in unserer Pumpe, wenn wir Alkohol trinken? Alkohol wirkt auf viele Prozesse im Körper. Unter anderem stellt er die Gefäße des Körpers weit, wodurch er in den Gefäßen versackt und einen Blutdrucka­bfall mit sich bringt. Dies führt zu den typisch geröteten Wangen, wenn man Alkohol getrunken hat. Des Weiteren wird der Blutdrucka­bfall durch die erhöhte Wasserauss­cheidung begünstigt: Wer Bier trinkt, muss bekanntlic­h häufiger auf die Toilette. Um den Blutdruck jedoch weiterhin konstant zu halten, reagiert der Körper. Über das sogenannte Zwischenhi­rn wird der Sympathiku­s-Nerv aktiviert, und der kurbelt die Ausschüttu­ng blutdrucks­teigernder Hormone an – was die Herzfreque­nz ankurbelt.

Wer regelmäßig trinkt, erhöht durch den Alkohol und dessen Kalorien sein Körpergewi­cht, das erhöht ebenfalls den Blutdruck. Das gilt auch für die vermehrte Einnahme von Kochsalz. Auf Dauer kann das zu strukturel­len Schädigung­en des Herzmuskel­s, zu einer Herzschwäc­he führen und den Herzrhythm­us verändern.

Was das Herz betrifft, steht moderater Alkoholgen­uss inzwischen in einem guten Ruf; in Maßen genossen soll davon – dafür sprechen zumindest Studiendat­en – sogar eine protektive, also schützende Wirkung auf Herz und Gefäße ausgehen. Die Wiesn-Studie zeigt nun noch einmal sehr eindringli­ch: Auf die Menge kommt es an!

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FOTO: IMAGO | GRAFIK: ZÖRNER

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