Rheinische Post Ratingen

Haus Messer ist ein Stück Ratinger Geschichte

- VON GABRIELE HANNEN

Die ehemalige Chefin des Kolonialwa­renladens an der Lintorfer Straße wird heute 95 Jahre alt. Das Haus hat sie bereits vor 30 Jahren verkauft.

RATINGEN Erna Messer wird 95 Jahre alt – und zwar am 9. Mai, am heutigen Dienstag also. Eine große Party ist nicht geplant, „die hatte ich ja zum 90. Geburtstag“, meint sie, irgendwie leicht belustigt. Wenn man diesseits dieses gesegneten Alters ist, liegen gern mal so törichte Worte wie „rüstig, wach, gut beisammen“nahe. Doch damit ist die Ratinger Geschäftsf­rau wirklich nur unzulängli­ch beschriebe­n. Sie steckt auch heute noch manches junge Blut locker in die Tasche.

Sie war 41 Jahre – davon zehn mit ihrem Ehemann Karl Messer – im gemeinsame­n Geschäft an der Lintorfer Straße rührig tätig, führte den Laden 31 Jahre allein. Niemals Pausen? Doch. Sohn Karl verrät: „Wann immer möglich, hat Mutter mittags im Hinterzimm­er im Sessel ein Ni- Erna Messer wird heute 95 ckerchen gemacht.“

Aus dieser Zeit als Geschäftsf­rau hat Erna Messer liebenswür­dige Erinnerung­en parat. Zum Beispiel an einen später erfolgreic­hen Ratinger Sport-Fernsehmod­erator (seine Begrüßung der Zuschauer war sein Markenzeic­hen: „N’Abend allerseits!“), der als Kind von seiner Tante fürs Schönschre­iben Geld bekam, um sich bei Messers eine Banane kaufen zu können. Sie kann sich unter anderem noch an das Sportgesch­äft der Geschwiste­r Krappatsch auf der Oberstraße erinnern und daran, wo die gewohnt haben.

Und sie erzählt alles ohne Ratinger Dialekt. Denn sie ist in Moers als Tochter eines Schreiners geboren. In der Nachbarsch­aft wurde dann so ein bisschen gemaggelt: Sie war 17 Jahre alt, als man sich kennenlern­te. Das war 1939. Karl Messer zog 1940 in den Krieg, kam 1945 zurück und musste sich doch eine ganze Weile erholen. 1946 zog man in das elterliche Ratinger Haus, das damals weiß Gott nicht so schmuck war wie heute. Es hatte jedoch durch eine glasbedeck­te Halle eine direkte Anbindung an das benachbart­e evangelisc­he Gemeindeha­us. Das Angebot wiederum war so reichhalti­g, dass man eigentlich gar nicht bis zum Markt zu gehen brauchte. Schließlic­h verkauften die Messers Gemüse, Kartoffeln, Obst, Fisch und so genannte Kolonialwa­ren – Lebensmitt­el auch aus fernen Landen.

Das Haus gehörte seit ewig der Familie ihres Mannes. Der brachte die Produkte des Geschäftes auch mit dem Pferdewage­n rund. 1953 machte Erna Messer dann den Führersche­in, organisier­te ein Dreirad (was damals ein Auto war), brachte 1954 ihren Sohn Karl Heinrich zur Welt und blieb Chefin, als ihr Mann zwei Jahre später an den Folgen seiner Kriegsverl­etzungen starb.

Die kleinen Läden hatten in den späteren Jahren schon schwer zu kämpfen. Die Witwe hielt erst noch mit, ging allerdings mit 65 Jahren in Rente, verkaufte Haus, Geschäft und damit auch die Stätte wilder Jugendjahr­e von Karl an die evangelisc­he Kirche. Inzwischen hat sich ein Bistro mit Zusatzange­boten etabliert und greift mit dem Namen „Gabel“den Ursprung des zum schönen Schwan mutierten Fachwerkha­uses auf.

Gegenwärti­g schont sich Erna Messer und ist erst mal nicht unterwegs. „Mein Arzt hat das so gewünscht“, sagt sie. Und zwar ohne irgendeine Jammerei. Sie hat allerdings von ihrer Wohnung in der Innenstadt einen guten Blick auf den Markt, auf St. Peter und Paul und die Turmuhr. Und wenn es Karnevalsu­nd Schützenum­züge gibt, ist sie interessie­rt und begeistert dabei.

Und – wie war das damals, als sie den Laden aufgegeben hat? Die beschaulic­he Ruhe hat Erna Messer nicht lange ausgehalte­n. Sie hat also bald und dann immer wieder Busreisen unternomme­n, die nach Rom und Paris, nach Capri und Neapel, zum Papst und an die italienisc­hen Küsten geführt haben. Auch das alles kann sie mit großer Begeisteru­ng und Präzision erzählen.

„Eine große Party ist nicht geplant. Die hatte ich zum 90. Geburtstag“

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RP-FOTOS: ACHIM BLAZY Karl Heinrich Messer blickt auf das traditions­reiche Haus an der Lintorfer Straße.
 ??  ?? So sah das Haus Messer (früher Ratinger Markthalle) in den frühen 50er Jahren aus. Zu kaufen gab es seinerzeit Gemüse, Kartoffeln, Obst, Fisch und so genannte Kolonialwa­ren – Lebensmitt­el auch aus fernen Landen.
So sah das Haus Messer (früher Ratinger Markthalle) in den frühen 50er Jahren aus. Zu kaufen gab es seinerzeit Gemüse, Kartoffeln, Obst, Fisch und so genannte Kolonialwa­ren – Lebensmitt­el auch aus fernen Landen.
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Erna Messer mit Sohn Karl Heinrich Messer und der Angestellt­en Renate (links).

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