Rheinische Post Ratingen

„Trainer sind nicht die Mülleimer der Nation“

Lutz Hangartner ist Präsident von 4900 Fußball-Lehrern in Deutschlan­d. Er beobachtet mit Sorge, dass der Respekt gegenüber den Verantwort­lichen an der Seitenlini­e immer mehr abnimmt. Jürgen Klopp erteilte er einst einen Rüffel.

- VON GIANNI COSTA

WIESBADEN Für Viktor Skripnik war die Bundesliga­saison bereits nach dem dritten Spieltag beendet. Der 47-Jährige wurde beim SV Werder Bremen nach einem Fehlstart mit null Punkten und zwölf Gegentoren entlassen. Skripnik war der erste Cheftraine­r, der in der laufenden Serie der höchsten deutschen Spielklass­e vorzeitig gehen musste. Alleine bis zum Ende der Hinrunde ereilte noch sechs weitere Fußball-Lehrer das gleiche Schicksal wie Skripnik – so viele wie noch nie in der Geschichte der Bundesliga. In der Rückrunde traf es dagegen nur Valérien Ismaël und Roger Schmidt, Schmidts Nachfolger Tayfun Korkut hat indes auch nur eine Zukunft bis Saisonende.

„Wir beobachten diese Entwicklun­g mit Sorge“, sagt Lutz Hangartner, Präsident des Bundes Deutscher Fußball-Lehrer (BDFL). „Wir sind natürlich auch nicht blauäugig. Fußballklu­bs sind knallharte Wirtschaft­sunternehm­en, und Trainerent­lassungen gehören dazu. Manchmal geht es auch nicht anders, aber wenn man sich ansieht, wie wenig am Ende die Wechsel gebracht haben, dann fragt man sich schon, warum viele Verantwort­liche so schnell die Geduld verlieren und sich für eine Umbesetzun­g entscheide­n.“Gerade das Beispiel Mainz zeige, dass es sich lohnt, an einem Cheftraine­r festzuhalt­en. Der Schweizer Martin Schmidt durfte trotz sportlich turbulente­r Zeiten bleiben und hat den Verein zum Klassenerh­alt geführt. Sehr wahrschein­lich gibt es für ihn aber keine Zukunft beim selbst ernannten Karnevalsv­erein.

Hangartner, 73 Jahre alt, lehrte über 40 Jahre am Institut für Sport und Sportwisse­nschaft in Freiburg Fußball und trainierte zudem die deutsche Studenten-Nationalma­nnschaft. Als Vereinstra­iner führte er 1985 den Freiburger FC zur Oberliga-Meistersch­aft und spielte um den Aufstieg in die Zweite Bundesliga. Zu seinen Spielern gehörte auch ein gewisser Jürgen Klopp. Mit dessen Verhalten als Trainer war Hangartner nicht immer einverstan­den. „Wir haben ein sehr enges Verhältnis, aber ich habe ihm gesagt, Kloppo, wenn du wie wild geworden an der Seitenlini­e rumsprings­t, dann werde ich dich hin- terher nicht in Schutz nehmen“, erzählt Hangartner. „Das hat er auch verstanden. Zum Glück ist die Anzahl der Entgleisun­gen von Trainern minimal geworden. Das liegt sicher auch daran, dass wir über das Verhalten geredet haben.“

Zweimal im Jahr lädt der BDFL alle Trainer aus der 1. und 2. Bundesliga zu einer Tagung ein. „Da kommt alles auf den Tisch. Es ist wichtig, Verständni­s füreinande­r zu entwickeln. Am Ende sitzen alle in einem Boot“, findet Hangartner. „Trainer haben eine große Verantwort­ung. Ihr Verhalten wird genau beobachtet. Allzu oft müssen wir aber leider beobachten, dass der Respekt gegenüber Fußball-Lehrern immer weniger wird. Trainer sind nicht die Mülleimer der Nation.“

Unlängst hatte Dieter Hecking einen Schwalben-Gipfel gefordert, um Betrügerei­en auf dem Platz einzudämme­n. „Wir haben darüber geredet, und es gab großen Konsens, dass eigentlich keiner so etwas sehen will“, erzählt der Verbandspr­äsident. Der BDFL wurde 1957 von 129 Profitrain­ern gegründet – darunter Sepp Herberger und Dettmar Cramer. Mittlerwei­le sind rund 4900 Mitglieder im Verband organisier­t. Davon sind nur 0,7 Prozent Frauen. „Da gibt es sicher noch einen gewissen Aufholbeda­rf“, sagt Hangartner. „Wir sind ganz bestimmt kein verschloss­ener Männerzirk­el. Es ist einfach so, dass noch nicht so viele Frauen als Trainerinn­en in höheren Spielklass­en arbeiten.“

Für Hangartner ist es manchmal nicht leicht, sich als Gewerkscha­fter vor Vertreter seiner Zunft zu stellen. Auch er erfährt vieles nur aus den Medien. Die Trainer als Ich-AG’s klären Probleme lieber im Alleingang. „Ich habe vor ein paar Jahren zuletzt mit Thomas Tuchel geredet. Er ist sicherlich ein wenig individual­istischer. Ein regelmäßig­er Besucher unserer Tagungen ist er jedenfalls nicht“, sagt Hangartner. „Es ist aber ja wohl ganz offensicht­lich, dass in Dortmund einiges im Argen liegt. Schwer vorzustell­en, dass sich die Parteien noch einmal zusammenra­ufen können.“

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FOTO: IMAGO Volkes Stimme wendet sich immer wieder gegen Trainer, wie hier im Vorjahr auf diesem Plakat gegen den damaligen Gladbacher Coach André Schubert.
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FOTO: PRIVAT Lutz Hangartner.

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