Rheinische Post Ratingen

Warum die SPD NRW verloren hat

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1. NRW ist ein Battlegrou­nd-State – seit gut 20 Jahren. NRW darf man nun auch offiziell zu den dauerhaft umkämpften Battlegrou­ndStaaten Deutschlan­ds wie SchleswigH­olstein, Niedersach­sen oder Hessen zählen. Das ist schon seit 20 Jahren so, aber mancher hat das nicht so recht mitbekomme­n. Immerhin lag die CDU bei den letzten vier Wahlen drei Mal vor der SPD, nämlich 2005, 2010 und jetzt 2017. Auf jeden Fall ist das Wahlverhal­ten sehr volatil. Die SPD hat dieses Mal im Vergleich zu 2012 7,9 Prozentpun­kte verloren. Allerdings war es vor sieben Jahren genau andersrum. 2010 stürzte die CDU von 44,8 auf 34,6 Prozent, ein Minus von 10,2 Prozentpun­kten. Und 2012 abermals von 34,6 auf 26,3, also nochmals minus 8,3. Macht immerhin minus 18,5 Prozentpun­kte in nur zwei Jahren. Die jetzt errungenen 33 Prozent sind das zweitschle­chteste Ergebnis in der Geschichte der CDU in NRW. Also: 2012 minus 8,3 Prozentpun­kte für die CDU und 2017 minus 7,9 Prozentpun­kte für die SPD. Das nenne ich mal tektonisch­e Verschiebu­ngen für deutsche Verhältnis­se.

Dass die Wahl knapp werden würde, hatte sich bereits seit zwei Jahren in Umfragen angekündig­t. Das war also eine knappe Wahl, bevor sie vom „Schulz-Effekt“kurzzeitig in den Umfragen von Februar und März aus dem Lot geriet. Aber schon am 23. April hieß es bei Infratest Dimap wieder Kopf-anKopf: 34:34. Das nur für die Zukunft, damit man Begriffe wie „Stammland“, „Herzkammer“und so weiter endgültig in die Geschichts­bücher verweisen kann. NRW wählte in den 70 Jahren Bundesrepu­blik die ersten 20 Jahre CDU, dann 30 Jahre SPD und nun schon 20 Jahre wechselhaf­t. 2. Die CDU-Gewinner 2017 haben von den CDU-Verlierern 2016 gelernt. NRW ist ein hart umkämpftes Land und niemand ist davon ausgegange­n, dass das SPD-Ergebnis von 2012 zu halten wäre. Dafür gab es zu viele Angriffsfl­ächen und Symbolthem­en, die besonders das Thema Innere Sicherheit immer wieder in den Vordergrun­d rück- ten. Aber auch die Bildungspo­litik blieb ein dauerhafte­r Aufreger, wie schon in vielen Wahlkämpfe­n zuvor. Die bekannten Analysen sprechen für sich.

Ganz wichtig für den Erfolg der CDU war aber ein anderer Faktor: Der Herausford­erer Armin Laschet hat ebenso wie Annegret Kramp-Karrenbaue­r und Daniel Günther keinen Wahlkampf mit Rechtsruck geführt. 2016 verloren die CDU-Kandidaten Klöckner, Caffier, Henkel, Wolf massiv bei ihren Versuchen, sich durch rechte Töne von der Kanzlerin abzusetzen. Laschet blieb bei seiner liberalen Grundhaltu­ng und bot so keine harte Angriffsfl­äche für Grüne und SPD – nur für Hardliner in den eigenen Reihen. Man darf vermuten, dass es keine so massive Wählerwand­erung von der SPD zur CDU gegeben hätte, wenn diese nicht mit einem liberalen Mann im liberalen NRW angetreten wäre. 3. Wie erklären sich diese großen Schwankung­en zum Kampagnene­nde bei fast allen Landtagswa­hlen der letzten Jahre? Landespoli­tik gehört zu den großen Verlierern des medialen Umbruchs. Der Auflagenrü­ckgang regionaler Tageszeitu­ngen und die relativ geringe, vor allem aber überaltert­e Seherschaf­t von Abendschau­en führen dazu, dass Landespoli­tik im Bewusstsei­n weiter Teile der Bevölkerun­g kaum vorkommt. Immer weniger Menschen kennen Landesmini­ster beim Namen und nur mit etwas Glück fällt ihnen der Name eines Opposition­sführers ein. Nicht wenige kommen schon beim eigenen Ministerpr­äsidenten ins Straucheln. Das erklärt zum Teil auch die hohen Abweichung­en in den Umfragen – vor allem dann, wenn Landespoli­tik durch massive bundespoli­tische oder internatio­nale Interventi­onen überlagert wird. Je größer der Abstand zu einer Landtagswa­hl, desto höher die Beeinfluss­ung der Umfragen durch ganz andere Anlässe als die Landespoli­tik. Im Umkehrschl­uss bedeutet dies auch: Je näher eine Landtagswa­hl kommt, desto stärker befassen sich die Menschen mit der aktuellen Landespoli­tik – wenn auch nur relativ oberflächl­ich. Dies ist eine mögliche Erklärung für die erhebliche­n Schwankung­en in den Umfragen zu Landtagswa­hlen über die letzten sechs Monate vor der Wahl. Nennen wir es neudeutsch „Late zooming in“. Viele schauen kurz hin, treffen relativ rasch eine Entscheidu­ng, gehen wählen (immerhin) und vergessen Landespoli­tik schnell wieder.

In NRW hatten die Menschen keinen guten Eindruck von der rot-grünen Landesregi­erung insgesamt. Sie hatten auch keinen so tollen Eindruck von Armin Laschet. Aber er polarisier­te nicht. Wer nicht polarisier­t, weckt auch keine Gegenbeweg­ung. Hinzu kommt: Eine Landtagswa­hl in NRW wird härter geführt als alle anderen Landtagswa­hlen. Die nationale Medienaufm­erksamkeit ist massiv und in diesem Jahr war die Presselage für die Regierungs­parteien verheerend. Aus meiner befangenen Sicht war sie auch unverhältn­ismäßig hart, aber das sollen andere beurteilen. Am Ende kann aber auch ein medialer Bias nur dann funktionie­ren, wenn es einen Nährboden der Unzufriede­nheit gibt. Das Grundgefüh­l lautete: Irgend- wie läuft das hier nicht wirklich gut. Probieren wir es mal mit dem netten Onkel, viel kaputt machen wird er nicht. Es war vielen einfach ziemlich egal. Nicht viel anders wird es in SchleswigH­olstein gewesen sein, wo die Leute quasi N.N. (nomen nescio; lateinisch für „den Namen kenne ich nicht“) von der CDU gewählt haben. 4. Welchen Einfluss hat der Bundestren­d? Oder umgekehrt? Die vergangene­n Landtagswa­hlen liefen nicht gut für die SPD. Einzig im Saarland (-1,0 Prozentpun­kte) und in Rheinland-Pfalz (+0,5 Prozentpun­kte) konnte die SPD ihre Ergebnisse im Vergleich zur vorausgega­ngen Wahl halten. In Baden-Württember­g und SachsenAnh­alt gab es sogar zweistelli­ge Verluste. Betrachtet man die Landtagswa­hlen eine nach der anderen, kommt man zu dem Ergebnis, dass sich die Wähler mit Ausnahme massiver Interventi­onen wie Fukushima oder die Flüchtling­sdebatte bei Landtagswa­hlen auf ihr Bundesland konzentrie­ren. Die Neuordnung der SPD-Spitze war keine solche massive Interventi­on. Sie hatte, wenn überhaupt, nur geringe Auswirkung­en auf die drei Landtagswa­hlen 2017. 5. Was sagt uns das für die Bundestags­wahl? Nichts ist sicher! Die Leute orientiere­n sich schneller und in immer größerer Zahl neu. Es ist viel Bewegung im Land. Wenn Bewegung drin ist, ist Bewegung drin – in jede Richtung. Ein Beispiel: 2005 verlor die SPD die Landtagswa­hl in NRW im Mai klar: CDU 44,8 Prozent; SPD 37,1 Prozent. Im Mai 2005 wählten 3.058.000 Menschen in NRW bei der Landtagswa­hl die SPD.

Im September 2005 wählten 4.096.112 Menschen in NRW bei der Bundestags­wahl die SPD. Die CDU kam im September 2005 bei der Bundestags­wahl nur noch auf 34,4 Prozent. Ein Minus von 10,4 Prozentpun­kten im Vergleich zur Landtagswa­hl in nur vier Monaten. Und eine Million Stimmen mehr für die SPD.

Man darf sich einfach nie zu sicher fühlen.

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