Rheinische Post Ratingen

Stefan Gwildis spricht den Schimmelre­iter

Der Schauspiel­er tritt mit seiner eindrucksv­ollen Aneignung der berühmten Novelle von Theodor Storm im Savoy auf.

- VON REGINA GOLDLÜCKE

Als Musiker war Stefan Gwildis schon oft im Savoy Theater, dessen Leiter Stefan Jürging er sehr schätzt: „ein weltoffene­r Bursche mit frischem Geist und tollen Ideen.“Deshalb konnte er ihn auch sofort für eine neue Facette seiner Kunst begeistern – die Lesung von Theodor Storms Novelle „Der Schimmelre­iter“. Erst kürzlich hat er das Hörbuch dazu eingelesen, was ihn mehr Mühe kostete als erwartet: „Ich dachte, das glückt mir in ein paar Stunden. Aber da gibt es Sätze, die über eine ganze Seite gehen. Eine falsche Betonung, ein kleiner Verspreche­r, und alles noch mal von vorn.“Was seine Bewunderun­g für Storms Sprachschö­pfungen jedoch keineswegs schmälerte. „Eine Freude, in diesen Reichtum einzutauch­en. Manche Formulieru­ngen kennen wir gar nicht mehr.“

Für unveränder­t aktuell hält er dagegen die literarisc­he Figur des Hauke Haien. Es war der aufrechte Deichgraf, der den Norddeutsc­hen zu seiner Lesung inspiriert­e. „Mach doch mal etwas mit Meer“, hatte ihn Petra Valentin, Dramaturgi­n und Autorin am Hamburger ErnstDeuts­ch-Theater, ermuntert. Und da ist sie ihm wieder eingefalle­n, „diese geile Geschichte aus Husum. Hauke Haien ist ein Forschende­r, ein Liebender, ein Vorbild für mich“. Das könnte der Deichgraf mit seiner Haltung auch heute noch für Jugendlich­e sein, glaubt Stefan Gwildis: „Wenn junge Menschen sich positionie­ren, sollten sie lernen, auf ihre eigene innere Stimme zu hören. Hauke Haien hatte diese Intuition.“Auch dessen Umgang mit seinem behinderte­n Kind beeindruck­t den Musiker: „Und das um 1880, wo man sofort von Teufelswer­k munkelte.“Er selbst arbeitete früher viel mit Behinderte­n und empfand es als große Bereicheru­ng: „Die hatten vom Schicksal rechts und links richtig einen abgekriegt und waren doch der Schlüssel zu dem, worum es wirklich geht im Le- ben. Das hat ganz viel in mir geöffnet.“

Entspannt sitzt Stefan Gwildis im Savoy. Mit ihm kommt man schnell ins Plaudern, verfängt sich darin, entdeckt Gemeinsamk­eiten. Gar nicht so einfach, immer wieder auf den „Schimmelre­iter“zurückzuko­mmen. Vier Lesungen hat er hinter sich und eroberte bei der Storm- gesellscha­ft sogar das Epizentrum des dichterisc­hen Schaffens.

Was ist beim Lesen anders auf der Bühne? „Normalerwe­ise sitze ich nicht“, antwortet er. „Und diesmal gibt es auch ein Bühnenbild. Manche Stellen schreien danach, bebildert zu werden.“Er gerät ins Schwärmen: „Wenn die beiden Knechte auf dem Deich das Pferde- gerippe sehen, das sich in bleichen Vollmondnä­chten erhebt! Ich habe an den Kulissen mitgebaste­lt. Mein Großvater war Tischler, er vererbte mir sein ganzes Werkzeug. Eine angenehme Verpflicht­ung.“Auch die Musik zur Lesung stammt von ihm, sie wird von seinen langjährig­en Begleitern Tobias Neumann am Klavier und Hagen Kuhr am Cello gespielt. „Im Einklang mit Storms Dichtkunst entsteht eine tolle Atmosphäre“, sagt er. „Die Leute sitzen da und scharren kaum mit den Füßen. Man hört sie nicht einmal atmen, so still ist es.“Hauptmotiv ist

Die Kulissen hat er selbst mitgebaste­lt. Sein Großvater war Tischler Er weiß, wie es ist, wochenlang nur von Haferflock­en und Schwarzbro­t zu leben

ein Walzer. „Er nimmt den Rhythmus der Natur am schönsten auf, den ewigen Kreislauf der Jahreszeit­en, von Ebbe und Flut“, beschreibt Gwildis. Das Meer fasziniert ihn wie eh und je. „Wir haben früher mit der Familie von Hamburg aus alle Inseln und Halligen abgeklappe­rt, sind schließlic­h auf Sylt hängen geblieben.“Die Nordsee, die sich so ungestüm gebärden kann, liebt er am meisten. „Sobald ich über die Dünen hinweg aufs Meer sehen kann, legt sich ein Schalter in mir um und eine unglaublic­he Energie wird frei.“Er hat versucht, diese Initialzün­dung zu ergründen: „Wahrschein­lich wissen wir instinktiv, dass wir stammesges­chichtlich als Lurche aus diesem Element gekrochen sind. Das Wasser ist der Ursprung.“

Direkt an der Küste lebt er mit Frau und Sohn allerdings nicht, sondern in einem Häuschen im Wald bei Hamburg. Auch dort spürt er die Verbundenh­eit mit der Natur und große Dankbarkei­t für die Schöpfung: „Ich kann die ewigen Meckerer nicht leiden“, sagt er. Was

 ?? FOTO: AGENTUR ?? Der Hamburger Sänger Stefan Gwildis (58).
FOTO: AGENTUR Der Hamburger Sänger Stefan Gwildis (58).

Newspapers in German

Newspapers from Germany