Rheinische Post Ratingen

Bibliothek­s-Hocker

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Sobald die ersten Sonnenstra­hlen kommen, spalten sich die Studierend­en an der Universitä­t in zwei Lager.

Zum einen sind da die Glückliche­n, die locker alles bis Semesteren­de schieben können, sich jetzt draußen in der Sonne fläzen und um nichts anderes sorgen als um einen möglichst streifenfr­eien Teint.

Und dann sind da diejenigen, die jetzt schon büffeln, was das Zeug hält – und zwar drinnen in der Bibliothek, fernab von frischer Luft und Sonnensche­in. Um der Versuchung, einfach rauszulauf­en, zu widerstehe­n, sind die Ersten jetzt sogar schon in das Untergesch­oss der Bibliothek umgezogen. So merken sie nicht, was sie verpassen. Aber auch die, die noch in den oberen Geschossen lernen, fangen langsam an, seltsame Eigenarten zu entwickeln. Vielleicht ist es das mangelnde Vitamin D, das sie dazu bringt, schon bei den kleinsten Veränderun­gen aus dem Konzept zu geraten.

So durfte ich mich eines Morgens neulich freuen, die Erste in der zweiten Etage der Bibliothek zu sein. Kein einziger Platz war besetzt, ich wählte einen Stuhl direkt an der Fensterfro­nt. Keine zehn Minuten später bat mich eine Kommiliton­in, den Platz zu wechseln. Noch immer war kein einziger Stuhl um mich herum besetzt. Etwa 80 nahezu identische Arbeitsplä­tze standen zur Verfügung, aber sie wollte ausgerechn­et exakt diesen Stuhl. Die Kommiliton­in erklärte ganz lieb, dass es ihr bester Lernplatz sei. Was soll man da schon sagen? Natürlich räumte ich den Platz sofort und verlegte meine Arbeitsstä­tte. Und zwar raus in den Park, schnell, bevor auch ich eindeutig zu viel Bibliothek­s-Luft einatmen konnte. Seitdem lerne ich in der Sonne, und das klappt wunderbar.

Wer weiß, vielleicht bekomme ich auf diesem Wege auch diesen neiderrege­nden, streifenfr­eien Teint.

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FOTO: LAMMERTZ Eva Böning studiert in Freiburg.

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