Rheinische Post Ratingen

Einer zahlt, 16 kassieren

Heute billigt der Bundestag den Bund-Länder-Finanzpakt. Für die 13 Grundgeset­zänderunge­n sind Zweidritte­lmehrheite­n notwendig.

- VON BIRGIT MARSCHALL

BERLIN 400 Seiten Gesetzeste­xte, 13 Grundgeset­zänderunge­n, endlose Zahlenkolo­nnen und jahrelange Verhandlun­gen – die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbezi­ehungen ist ein zähes und komplexes Thema. Heute endlich soll der Bundestag das Mammutproj­ekt verabschie­den, schon morgen kommt es in den Bundesrat. Für die Verfassung­sänderunge­n sind jeweils Zweidritte­lmehrheite­n notwendig. Union und SPD verfügen im Bundestag über 80 Prozent der Mandate. Nach Probeabsti­mmungen in den beiden Fraktionen am Dienstag besteht kein Zweifel, dass die historisch­e Reform heute geschafft wird. Auch im Bundesrat zeichnete sich kein Scheitern ab. Bei manchen ist die Freude über diese Reform weniger groß – etwa in der NRW-Landesgrup­pe der SPD-Fraktion oder bei Bundesfina­nzminister Wolfgang Schäuble (CDU).

Die Neuordnung der Finanzbezi­ehungen wird nötig, weil der bisherige Länderfina­nzausgleic­h und der Solidarpak­t für Ostdeutsch­land Ende 2019 auslaufen. Zudem wollten die reichen Geberlände­r künftig nicht mehr so viel wie bisher vom eigenen Steueraufk­ommen an ärmere Länder abgeben. Bayern und Hessen hatten deshalb eine Verfassung­sklage eingereich­t, die sie jetzt wieder zurückzieh­en. Außerdem wollte aber keines der 16 Länder schlechter­gestellt werden, und die klammen Länder Bremen und Saarland brauchten zusätzlich­e Hilfen.

Diese Quadratur des Kreises konnte nur gelingen, indem die Länder beschlosse­n, den Bund zur Kasse zu bitten: Der Bund wird die Länder ab 2020 mit zusätzlich 9,75 Milliarden Euro pro Jahr unterstütz­en, damit alle zustimmen. Im Gegenzug mussten die Länder einige Kröten schlucken, die bis zur vergangene­n Woche für weitere Verhandlun­gen sorgten. Der heikelste Punkt: Ab 2021 übernimmt der Bund Bau, Planung und für ein Schulsanie­rungsprogr­amm für finanzschw­ache Kommunen von zusätzlich insgesamt 3,5 Milliarden Euro. Hier haben die Bundestags­fraktionen für den Bund noch ein besonderes Akteneinsi­chts- und Erhebungsr­echt ins Gesetzespa­ket eingebaut. Auch der Bundesrech­nungshof bekommt mehr Kontrollre­chte in den Ländern, und die Steuerverw­altung des Bundes wird gestärkt, so dass in einzelnen Ländern wieder ein Grummeln zu hören ist.

Das vom linken Ministerpr­äsidenten Bodo Ramelow regierte Thüringen will deshalb die Anrufung des Vermittlun­gsausschus­ses beantragen, was aber von der Ländermehr­heit abgelehnt werden dürfte. Brandenbur­gs Ministerpr­äsident Dietmar Woidke (SPD) kritisiert­e zudem Pläne der Union, den Solidaritä­tszuschlag ab 2020 schrittwei­se abzuschaff­en. „Wir brauchen ein effektives gesamtdeut­sches Fördersyst­em ab 2020 unabhängig von der Himmelsric­htung. Der Bund muss sagen, wie er die dringend notwendige­n Investitio­nen in Bildung und Infrastruk­tur zukünftig sicherstel­len will“, sagte er. „Wie das bei einer ersatzlose­n Abschaffun­g des Solidaritä­tszuschlag­es sichergest­ellt werden soll, erschließt sich mir derzeit noch nicht. Hier ist der Bund am Zug.“

In den Bundestags­fraktionen dagegen sind die Kritiker still geworden. Bei der Probeabsti­mmung in der Unionsfrak­tion gab es nur 13 Nein-Stimmen und eine Enthaltung. Prominente­ster Gegner ist Bundestags­präsident Norbert Lammert (CDU), der in der Reform eine Schwächung des föderalen Staates sieht. Bei der SPD votierten 22 Parlamenta­rier mit Nein, vier enthielten sich. So viele Abweichler kann sich die Koalition leisten, denn sie hat 82 Stimmen mehr, als für die Zweidritte­lmehrheit nötig sind. Zuvor gab es Spekulatio­nen, dass insbesonde­re die NRW-Landesgrup­pe in der SPDFraktio­n mit Nein stimmen könnte, weil man dem designiert­en Minister-

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