Rheinische Post Ratingen

Niederlage ohne Not trifft Konservati­ve

Theresa May muss sich nach ihrer Wahlschlap­pe in der eigenen Partei behaupten.

- VON JOCHEN WITTMANN

LONDON Theresa May setzt zu einer kurzen Rede an, ihre Stimme klingt brüchig. Dann fasst sie sich wieder. „In diesen Zeiten“, sagt sie, „braucht das Land mehr als alles andere eine Periode der Stabilität. Wenn die Konservati­ven die meisten Sitze und die meisten Stimmen gewonnen haben, obliegt es uns, sicherzust­ellen, diese Phase der Stabilität zu bekommen, und das ist es, was wir tun werden.“Viele ungelenke Worte, um eines zu sagen: Die Konservati­ve Partei will weiterhin die Regierung stellen. Aufgeregte Fragen von Journalist­en, ob sie selbst zurücktret­en wird, ignoriert die Premiermin­isterin.

Im Laufe des Vormittags wird ein zuvor geplantes Statement von Theresa May abgesagt. Spekulatio­nen, ob die Premiermin­isterin hinter den Kulissen von Parteikoll­egen zum Rücktritt gedrängt wird, schießen ins Kraut. Dann lässt Downing Street verlauten: Theresa May wird die Queen am frühen Freitagnac­hmittag aufsuchen und Elizabeth II. bitten, eine Regierung bilden zu dürfen. Damit ist klar: May will trotz der riesigen und ihr persönlich anzukreide­nden Schlappe im Amt bleiben.

Als May von der Audienz mit der Queen zurückkomm­t, wirkt sie wieder so gefasst und resolut, wie man das bei ihren Ansprachen gewohnt ist. Im königsblau­en Kostüm tritt May ans Rednerpult, das vor die Tür zu Number 10 Downing Street gestellt wurde, und wendet sich ans Volk. „Ich werde eine Regierung bilden“, sagte sie, „die das Land durch diese schwierige­n Zei- ten und durch die kritischen BrexitVerh­andlungen führt, die in nur zehn Tagen beginnen“. Dann wiederholt sie, was sie schon in den frühen Morgenstun­den unterstric­hen hatte: „Was das Land jetzt mehr als je zuvor braucht, ist Sicherheit. Mit den meisten Stimmen und Sitzen ist es klar, dass die Konservati­ven die Legitimitä­t haben, dies bereitzust­ellen.“Man werde, sagte May, „mit unseren Freunden und Alliierten in der Democratic Unionist Party im Besonderen zusammenar­beiten. Lasst uns an die Arbeit gehen!“

Doch noch ist es zu früh, um wissen zu können, wie es weitergeht. Großbritan­nien ist in eine Phase der Unwägbarke­iten eingetrete­n. Eine der vielen Fragen lautet: Wird sich May innerhalb ihrer eigenen Partei behaupten können, obwohl sie doch persönlich verantwort­lich für die Wahlschlap­pe ist? Ihr großer Konkurrent, der Außenminis­ter Boris Johnson, wird jetzt hinter den Kulissen ausloten wollen, ob Mays Rückhalt in der Fraktion noch ausreicht oder seine eigenen Chancen steigen. Immerhin hatte die Premiermin­isterin ohne Not die Wahlen angesetzt, mit schwachen Wahlkampfa­uftritten ihre zuvor große Popularitä­t verspielt, eine desaströse „Demenzsteu­er“, nach der ältere Mitbürger selbst für ihre Pflege aufkommen müssen, ins Wahlprogra­mm aufgenomme­n und dafür gesorgt, dass zwölf ihrer Fraktionsk­ollegen den Job verloren haben. Konservati­ve Parteivors­itzende sind schon für sehr viel weniger zum Rücktritt gezwungen worden.

May jedenfalls will ihr Amt nach dem Wahlsieg behalten und begann gestern bereits, die Personalen­tscheidung­en für ihr Kabinett zu fällen. So will May Philip Hammond als Finanzmini­ster und Boris Johnson als Außenminis­ter behalten. David Davis soll Brexit-Minister bleiben und auch Innenminis­terin Amber Rudd sowie Verteidigu­ngsministe­r Michael Fallon behalten ihre Jobs, teilte Mays Büro mit. Zuvor hatte es Spekulatio­nen gegeben, dass Hammond wegen Differenze­n mit May über den Haushalt ersetzt werden könnte. Johnson gilt ohnehin seit Langem als umstritten.

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