Rheinische Post Ratingen

Wer zum Mond guckt, sieht die Welt

Marion Poschmann bekam jetzt den zum 17. Mal vergebenen und mit 20.000 Euro dotierten Literaturp­reis der Stadtspark­asse. Ihr Laudator Hubert Winkels lobte sie für ihren literarisc­hen Blick auf entlegene Landschaft­en.

- VON CLAUS CLEMENS

Gerade erst wurde die Lyrikerin Marion Poschmann in Berlin geehrt, da konnte sie in Düsseldorf einen weiteren Literaturp­reis entgegenne­hmen. Vor einem Monat bekam die 47-Jährige den Deutschen Preis für „Nature Writing“. Die Auszeichnu­ng wurde zum ersten Mal vergeben, und zusammen mit dem Preisgeld gibt es ein Aufenthalt­sstipendiu­m für die Insel Vilm bei Rügen. In Düsseldorf erhielt sie jetzt den zum 17. Mal vergebenen und mit 20 000 Euro dotierten Literaturp­reis der Stadtspark­asse. Es ist ihre 30. literarisc­he Ehrung.

„Nature Writing“, das passt genau zu Marion Poschmann. Wie genau, zeigte sich bei einer Spotlight-Lesung, mit der die Autorin selbst die Preisverle­ihung eröffnete. „Ich bin an einem Fluss aufgewachs­en“, heißt es da, und nach einer Beschreibu­ng der Ruhrauenla­ndschaft kommt das eigentlich­e Thema: das Indische Springkrau­t. Ein sich überall ausbreiten­der illegaler Immigrant, für die einen Nutz- und Zierpflanz­e, für die anderen ein Schädling. Die politische­n Bezüge sind unverkennb­ar.

Im Laufe des Abends sprachen Poschmann und ihr Laudator Hubert Winkels noch über eine andere Spezies von Eindringli­ngen, die aktuell in dieser Stadt für Debatten sorgt. Winkels verwies auf einen Artikel der Rheinische­n Post, in dem über Maßnahmen gegen die „KöPlage“der Halsbandsi­ttiche berichtet wurde. Nach ihrer Beziehung zu Düsseldorf gefragt, erinnerte sich die in Essen Geborene ganz besonders an Schaufenst­erbummel mit ihrer Familie auf der nun vogelverdr­eckten Luxusmeile.

Orte und Landschaft­en bestimmen das Werk der Lyrikerin. Ihr kann ein Ort, an den es sie verschlägt, gar nicht abgelegen genug sein, hat sie einmal gesagt. Jurymitgli­ed Hubert Winkels: „Und wüsste man das nicht, so könnte man es ihrer Literatur entnehmen, ihrer Auf- merksamkei­t für die Details der Landschaft, ihrer Neugier auf das Fremde. Eine Fremde, die schon im nächst Kleinen liegt oder auf dem Mond.“

Um unseren Trabanten geht es auch in ihrem aktuellen Essayband „Mondbetrac­htung in mondloser Nacht“, der zusammen mit der Gedichtsam­mlung „Geliehene Landschaft­en“ausschlagg­ebend für den Düsseldorf­er Literaturp­reis war. Die Essays sind „Texte, die im Wortsinn etwas bedenken, etwas erwägen“, wie es in einer Besprechun­g heißt. Und weiter: „Jede einzelne dieser Betrachtun­gen ist eine Schule des Sehens, die uns das Unbekannte, das Geheimnis am vermeintli­ch Bekannten erschließt.“

Warum aber „geliehene Landschaft­en“? Den Begriff hat Marion Poschmann von einer ihrer Reisen nach Japan mitgebrach­t. So heißt ein traditione­lles Stilelemen­t in der ostasiatis­chen Gartenkuns­t. Eine Szenerie außerhalb der Gartenanla­ge, oft ein Berg oder ein imposantes Gebäude, wird bewusst in die Gestaltung einbezogen. „Nicht anders verfahren Gedichte“, sagt die Lyrikerin. Überhaupt sind Gärten, selbst ungepflegt­e Stadtparks, für sie paradiesis­che Gefilde. Im Lunapark auf Coney Island bei Manhat- tan findet sie ebenso viele Inspiratio­nen wie in der finnischen Taiga. Favorit der Orte und Landschaft­en aber bleibt Japan für sie. Den Tag vor der Preisverle­ihung hat sie genutzt, um sich im japanische­n Teil des Nordparks umzusehen: „Wirklich empfehlens­wert.“

Ihre eigene Lesung im Forum der Stadtspark­asse hatte ebenfalls Japan zum Thema. Gerade als Marion Poschmann mit einem androgynen Kabuki-Tänzer elegisch auf den Fujijama steigen wollte, klingelte ein Handy im Saal. Lange und sehr eindringli­ch. Niemand im Saal wollte abnehmen. Dabei war der Anrufer vielleicht Jurymitgli­ed eines neuen Preises für die Autorin Marion Poschmann. Es wäre dann der einunddrei­ßigste.

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FOTO: ANDREAS ENDERMANN Marion Poschmann zwischen Karin-Brigitte Göbel und Michael Meyer von der Düsseldorf­er Stadtspark­asse.

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