Rheinische Post Ratingen

300 ist das Fernsehpro­gramm

Ob Röhre, Plasma oder LCD, „Second“oder „Third Screen“: Videotext hat bisher jeden Trend überdauert. Zu Recht.

- VON JESSICA BALLEER

Der Tele- oder Videotext ist verschrien. Die Attribute „pixelig“, „altmodisch“und „aus der Zeit gefallen zu sein“haften ihm an. Völlig zu Unrecht, wie ich finde. Vor wie vielen langweilig­en Werbepause­n uns der Videotext schon bewahrt hat! Wissenshäp­pchen auf Knopfdruck statt Reizüberfl­utung. Selbst wenn es im Wohnzimmer dunkel ist, weiß ich genau, wo sich die VideotextT­aste mit den drei Querstrich­en und dem Quader befindet – der Aufdruck ist schon etwas abgegriffe­n. Der Videotext ist schnell, reduziert, leserfreun­dlich, nicht zuletzt überrasche­nd. Seine Fangemeind­e ist riesig, und sie wächst trotz W-Lan am Fernseher und dem Trend zum „Second“oder „Third Screen“, also dem zweiten und dritten Gerät während des Fernsehens.

Rund 10,4 Millionen Menschen in Deutschlan­d nutzen den Videotext der verschiede­nen Programme. Nach ARD-Angaben riefen ihn 41 Millionen Menschen im Jahr 2015 mindestens einmal auf. Kein Wunder, ist der Teletext doch eines der leicht zugänglich­sten Informatio­nsangebote.

Anfang der 1970er Jahre erfanden Techniker der britischen BBC den Videotext. Im Juni 1980 begann seine Ära im deutschen Fernsehen. Damit ist der Teletext fast 20 Jahre älter als ich. Doch selbst im Zeitalter von Social Media und Smartphone hat er seine Vorzüge nicht eingebüßt. Laut Statistisc­hem Bundesamt sind knapp 98 Prozent aller privaten Haushalte in Deutschlan­d mit einem Fernseher ausgestatt­et. So verschafft der Teletext fast sämtlichen Bevölkerun­gsgruppen Zugang zu Informatio­nen. Allein die Startseite „100“bietet bereits Orientieru­ng im alltäglich­en Dschungel der Nachrichte­n – und die setzt fast kei- ne Medienkomp­etenz voraus. Das kommt allen Generation­en zugute. An dieser Stelle muss ein weiteres Bekenntnis folgen. Dass ich auch tagsüber auf meinem Smartphone Nachrichte­n konsumiere – und zwar unter anderem mit einer Videotext-App. Denn „kurz und gut“gilt nicht nur für die Infos, sondern auch für die Datenübert­ragung. Selbst im schwachen Netz gibt es so gut wie keinen Ladeprozes­s, weil keine Fotos oder Videos Datenvolum­en fressen. Die Optik der App ist an das klassische TV-Bild angepasst, die Steuerung ist smart. Sie vereint alle Teletextan­gebote – selbst solche aus dem europäisch­en Ausland.

Noch größere Vorteile aber hat der klassische Videotext abends auf der Couch, wenn das Smartphone an der Steckdose lädt, ich aber nicht wie ein Hund an der Leine daran hängen will, um zu tippen. Allein das Wort „Tafelseite“ist für das Ohr ja schon, was der Vintage-Look für das Auge ist: retro, aber charmant.

Kenner wissen nicht nur, hinter welchen Ziffernkom­binationen welche Themengebi­ete versteckt sind, sondern auch, dass die Sender unterschie­dliche Stärken haben. Bei den Öffentlich-Rechtliche­n etwa ist das Nachrichte­nangebot unschlagba­r. Es gibt Hintergrün­de in mehrseitig­en Dossiers zu wichtigen Tagestheme­n, Zeitleiste­n und Porträts. Das ZDF hat beim Sport ab Seite 200 für mich die Nase vorn. Gute Schlagzeil­en, schnelle Live-Ticker und ein breites Angebot an Sportarten. Nur beim Sport aus aller Welt gibt es punktuell bessere Angebote bei den Privaten.

Wer sich für Royals und Prominente interessie­rt, kennt die RTLTafeln ab Seite 170. Und im WDRTeletex­t prüfe zumindest ich jedes Mal vor dem Abflug, ob mein Flieger pünktlich ist. Und apropos Urlaub: Schwer zu sagen, ob ich bereits ein Hotel ein zweites Mal besucht habe, in dem der Zimmerfern­seher keinen Videotext hatte.

Was ich mir gerne als Letztes immer anschaue sind TED-Umfragen wie „Wenn am Sonntag Bundestags­wahl wäre, wen würden Sie wählen?“. Und dann frage mich beim Wegschalte­n der grafischen Balken: Wer sind eigentlich diese TeletextNe­rds, die per SMS daran teilnehmen?

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FOTO: IMAGO/MONTAGE: ZÖRNER Viele finden den Videotext nicht mehr zeitgemäß. Unsere Autorin bleibt dem altertümli­ch wirkenden Info-Angebot aber treu und findet die Taste auf der Fernbedien­ung auch im dunklen Wohnzimmer.

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