Rheinische Post Ratingen

Ein Hauch von Karibik im Ärmelkanal

- VON ILKA PLATZEK

Herm ist die kleinste bewohnte Kanalinsel und hat das Zeug zum Sehnsuchts­ort. Denn das besondere Klima sorgt für eine einzigarti­ge Naturlands­chaft.

Trüb und kühl ist es, als die Fähre morgens um neun Uhr im Hafen von St. Peter Port auf Guernsey ablegt und Richtung Herm tuckert. Nach 20 Minuten ist das Ziel erreicht: Über der knapp zwei Quadratkil­ometer kleinen Insel reißt die Wolkendeck­e auf und die Besucher werden mit strahlende­m Sonnensche­in empfangen. Am Hafen wird die Fähre entladen: Proviant, alkoholisc­he Getränke, Klappstühl­e und Reisetasch­en landen auf dem Kai. Die ersten Wochenendg­äste treffen ein. Im einzigen Hotel des Eilands, dem „White House“, gibt es ein üppiges, sehr britisches Frühstück – geräuchert­en Fisch inklusive. So gestärkt kann man sich ganz auf die Schönheite­n der Insel konzentrie­ren. Und Bewohnerin Leslie Bailey weiß, wo sie zu finden sind.

Bailey stammt aus den englischen Midlands, ist 53 und lebt seit 22 Jahren mit ihrer Familie auf Herm. Hier, wo es kein Telefon und kein TV gibt, keinen Arzt und keinen Pfarrer, sollten ihre drei Kinder aufwachsen. 1995 bewarb sich ihr Mann um eine Stelle als Buchhalter auf dem autofreien Eiland. Auch Bailey musste sich den Inselbewoh­nern vorstellen, denn in einer kleinen Gemeinscha­ft von derzeit 66 Personen – Kinder inklusive – muss die Chemie untereinan­der stimmen: „Auf Herm darf man nur leben, wenn man hier arbeitet. Jeder macht mehrere Jobs. Ich arbeite zum Beispiel als Naturführe­rin und im Andenkenla­den. Außerdem organisier­e ich einen Wohltätigk­eitslauf.“Alt werden darf sie hier nicht: „Wer in Rente geht, muss die Insel verlassen“, sagt Bailey.

Auf festgetret­enen Sandwegen geht es vorbei an üppig blühenden roten Kamelien, blauen Glockenblu­men, weißem Bärlauch, leuchtend gelben Ginsterbüs­chen und Wildblumen sowie blühenden Obstbäumen. Es duftet nach Knoblauch, Blumen und See- tang. Der Golfstrom meint es gut mit den Kanalinsel­n – nie fallen die Temperatur­en unter vier bis fünf Grad, und nur selten steigen sie über 25 Grad. Bei diesem Klima explodiert die Natur im Frühling: Yuccas und Palmen wachsen im Freien zu imposanter Größe heran. Seltene Vögel bevölkern das Eiland. Sogar der Papageient­au- cher ist auf Herm heimisch. Ein Hauch von Karibik.

Und die Insel hat noch mehr zu bieten: schroffe Felsen, breite, einsame Sandstränd­e, türkisblau­es Wasser und hinter jeder Biegung neue, überwältig­end schöne Aussichten. Kurz: Die kleine Insel ist ein Paradies für Menschen, die Ruhe und die Nähe zur Natur suchen. Hier verbringen gestresste Guernseyan­er ihr Wochenende im eigenen oder gemieteten Zelt. Hier relaxen Touristen wahlweise als Selbstverp­fleger in Cottages und Zelten, oder im noblen White House, einem ehemaligen preußische­n Herrensitz. „Bis vor wenigen Jahren gab es keine Uhren im Hotel. Jetzt sind zumindest Uh- renwecker auf den Zimmern“, sagt Bailey.

Herm gehört zur Vogtei Guernsey. Die Kanalinsel­n sind nicht Mitglied der EU. Sie sind weder Teil des Vereinigte­n Königreich­s, noch Kronkoloni­en, sondern im Besitz der britischen Krone. Das Eiland wird für jeweils 15 Jahre verpachtet. Die Herm-Island Gesellscha­ft lebt vom Tourismus und von der Landwirtsc­haft. Arbeit gibt es am Hafen, in der Gastronomi­e, im Hotel, der Landwirtsc­haft und den wenigen Geschäften auf der Insel. Auch Handwerker und Gärtner werden gebraucht.

Die 66 Bewohner leben im Binnenland der Insel: „Die Wohnungen werden gestellt“, erzählt Bailey. Ihre Kinder haben zunächst die Dorfschule und später in St. Peter Port die weiterführ­ende Schule besucht. „Im Alter von acht bis elf Jahren haben sie wochentags bei Gasteltern gewohnt und sind nur am Wochenende nach Hause gekommen. Das war

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FOTO: THINKSTOCK/HARALDBIEB­EL Die Strände mit dem türkisblau­en Wasser ziehen auch viele Wochenendb­esucher an.
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FOTOS (2): CHRIS GEORGE Im Hotel Whitehouse, dem einzigen auf der Insel, genießen Besucher ein britisches Frühstück.
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Nach Herm fährt mehrmals täglich eine Fähre von Guernsey.

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