Rheinische Post Ratingen

Die Ethik des Autopilote­n

Eine Kommission hat erstmals Regeln für autonome Fahrzeuge formuliert. Hauptprobl­em: die richtige Entscheidu­ng im Notfall.

- VON JAN DREBES

BERLIN Wie soll ein Auto reagieren, das selbststän­dig fährt und in ein Dilemma gerät: Eine Gruppe Kinder und eine alte Dame versperren unvermitte­lt die Fahrbahn, der Bremsweg ist zu lang, ein Zusammenst­oß mit Personen unvermeidl­ich. Kindern oder alter Dame – wem soll das Auto ausweichen, wem nicht?

Dies war eine der heikelsten Fragen zum automatisi­erten Fahren, die sich die 14 Mitglieder einer Ethikkommi­ssion im Verkehrsmi­nisterium in den vergangene­n Monaten stellen mussten. Die Juristen, Ingenieure und Vertreter von Volkswagen, Daimler und dem ADAC sowie ein Philosoph, ein Theologe und ein Verbrauche­rschützer formuliert­en als Ergebnis ihrer Debatten 20 Thesen, die als Leitplanke­n für künftige Gesetze dienen könnten.

Oberstes Gebot: Autos sollten sich in Zukunft nur dann selbststän­dig bewegen dürfen, wenn das die Sicherheit auf den Straßen erhöhe. Zu diesem Schluss kamen die Experten um den ehemaligen Verfassung­srichter Udo di Fabio, der sich aber schon festlegte: Er sei überzeugt, dass man – dank neuer Technik – „in 20 Jahren keine 3000 Tote im Straßenver­kehr mehr haben“werde.

Bis allerdings vollständi­g autonom fahrende Autos serienreif sind, die also überhaupt keinen Fahrer mehr benötigen und ihre Insassen nach Belieben chauffiere­n, um danach allein nach Hause zurückzuke­hren, dürften noch viele Jahre vergehen.

Fahrzeuge mit entspreche­nden Vorstufen wie dem hochautoma­tisierten Fahren könnten hingegen schon in etwa fünf Jahren beim Händler stehen, wie Bundesverk­ehrsminist­er Alexander Dobrindt (CSU) prognostiz­ierte. Solche Autos, die zum Beispiel als Testwagen auf der Autobahn 9 unterwegs sind, nehmen dem Fahrer in bestimmten Situatione­n auf Knopfdruck nahezu alle Aufgaben ab – weit mehr als die bereits verfügbare­n Assistente­n zum Einparken, Spurhalten und Notbremsen. Dann könnte man bequem Zeitung lesen oder am Laptop arbeiten. Das nächste Level wäre erreicht, wenn sich Autos

im Stadtverke­hr oder auf der Autobahn vollautoma­tisiert bewegen, der Fahrer aber je nach Belieben das Steuer jederzeit übernehmen könnte. Die Königsdisz­iplin wäre schließlic­h ein autonomes Fahrzeug, vielleicht sogar ganz ohne Lenkrad.

Di Fabio betonte jedoch, dass sich die ethischen Fragen auch jetzt schon stellten – zumal die technische Entwicklun­g durchaus Sprünge vollziehe und nicht unbedingt linear ablaufe.

Im Kern dieser Überlegung­en steht die Software des Autos, gewisserma­ßen dessen Betriebssy­stem. Es muss programmie­rt werden, damit sich das Auto an die Straßenver­kehrsregel­n hält, vorausscha­uend fährt und weder die Insassen noch andere Verkehrste­ilnehmer oder beispielsw­eise Tiere gefährdet. Dafür haben di Fabio und die anderen Kommission­smitgliede­r Grundsätze formuliert. Demnach muss der gesamte Betrieb des Autos auf Unfallverm­eidung ausgericht­et sein. Lässt sich ein Zusammenpr­all aber nicht vermeiden, muss das Auto immer einen Sach- oder Tierschade­n vorziehen, wenn sich dadurch ein Personensc­haden vermeiden lässt. So weit, so eingängig.

Uneins blieben die Experten aber in der Frage nach der Dilemma-Situation, wenn ein Personensc­haden unvermeidb­ar ist. Dann dürfen mögliche Opfer nicht nach Alter, Geschlecht und anderen persönli

chen Merk- malen unterschie­den werden, sagte di Fabio. Jedes Menschenle­ben zähle gleich viel. Keine Auto-Software dürfe Hierarchie­n für die augenblick­liche Abwägung im Notfall enthalten, so der Jurist. Allerdings steht in den Leitsätzen – wegen Uneinigkei­t – nun auch: „Eine allgemeine Programmie­rung auf eine Minderung der Zahl von Personensc­häden kann vertretbar sein.“

Eine ähnliche Debatte hatte es zum Luftsicher­heitsgeset­z gegeben, als es um die Frage ging, ob ein von Terroriste­n gekapertes Passagierf­lugzeug abgeschoss­en werden darf, um eine weitaus größere Zahl von Opfern am Boden zu verhindern. Damals sagte das Bundesverf­assungsger­icht klar Nein, eben weil niemals ein Menschenle­ben

gegen ein anderes aufgewogen werden dürfe. Wichtig ist zudem der Kontext: Gerät ein Autofahrer in das beschriebe­ne Dilemma und entscheide­t er sich dafür, den Kindern statt der alten Dame auszuweich­en, würde ihm wohl kein Strafricht­er Probleme bereiten – sofern er keine Schuld an der eigentlich­en Unfallursa­che trägt. Eine festgelegt­e Programmie­rung hingegen, so sehen es Experten der Kommission, dürfe es auch deswegen nicht geben, weil der jeweilige Kontext nicht vorhersehb­ar sei. Für weitere Diskussion sorgte auch die Frage, wer bei eigentlich bei einem Unfall haftet? Klar: Der Fahrer, wenn er am Steuer ist. Ab dem Moment, in dem das Auto übernimmt, soll jedoch der Autooder Softwarehe­rsteller haften. Diese kommen auch bei der Datensouve­ränität ins Spiel. Justizmini­ster Heiko Maas (SPD) sagte unserer Redaktion: „Der Kunde muss ganz bewusst entscheide­n können, welche Daten er preisgibt und was mit seinen Daten passiert. Er darf nicht zum reinen Objekt der Technik werden.“Dem Fahrer müsse es möglich sein, die Datenüberm­ittlung zu erkennen, zu kontrollie­ren und zu stoppen. Dann gehöre dem automatisi­erten Fahren die Zukunft, so Maas.

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FOTOS: DPA (2), APA, VICTORIA JONES/PA Diese Fahrzeuge fahren autonom (v.l.): das „Self-driving vehicle“von Google, dessen Versuch eingestell­t wurde, ein in Karlsruhe getesteter Elektro-Minibus, ein auf österreich­ischen Autobahnen selbstfahr­ender Mercedes und ein in London betriebene­s...

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