Rheinische Post Ratingen

Die Tragödie des Otto Warmbier

- VON FRANK HERRMANN

Was widerfuhr dem 22jährigen Studenten in Nordkorea? Die US-Öffentlich­keit ist empört über das Schicksal des Weltenbumm­lers, den offenbar nichts als Neugier ins Reich Kim Jong Uns trieb.

WASHINGTON Es sind körnige, unscharfe Bilder, gefilmt in einem Hotel in Pjöngjang. Sie zeigen einen hochgewach­senen Mann, der ein Plakat von der Wand nimmt, es nicht abreißt, sondern vorsichtig daran zieht, bis es sich löst, und es behutsam auf den Boden legt. Das Propaganda­poster sollte offensicht­lich ein Souvenir sein, das der Schlaks mit nach Hause nehmen wollte.

Wieder und wieder sind die Bilder in den Abendnachr­ichten der Fernsehsen­der ABC, CBS und NBC gelaufen, seit Otto Warmbier nach 17 Monaten nordkorean­ischer Gefangensc­haft in seine Heimatstad­t Cincinnati zurückkehr­te. Als er ankam, lag er im Koma. Ab und an, schildern seine Eltern, öffnete er seine Augen. Doch weder konnte er sprechen noch reagierte er auf Worte oder Gesten. Am Montagaben­d ist Warmbier in einer Klinik in Cincinnati gestorben, ein 22-Jähriger, der in diesem Monat seinen Uni-Abschluss gemacht hätte, wäre alles nach Plan verlaufen. An der University of Virginia hatte er Ökonomie studiert, zugleich begeistert­e er sich für RapMusik. Ein Abenteuerl­ustiger, der die Welt entdecken wollte – so charakteri­sieren ihn Verwandte und Freunde.

Was Warmbier widerfuhr, ist einstweile­n völlig unklar. Nach der Version des Regimes von Kim Jong Un litt er an Botulismus, einer seltenen Krankheit, die man sich nach dem Verzehr verdorbene­r Lebensmitt­el zuziehen kann. Man habe ihm eine Schlaftabl­ette gegeben, danach sei er ins Koma gefallen, sa- gen die Nordkorean­er. US-Ärzte sprechen von schweren neurologis­chen Verletzung­en, ohne den Grund nennen zu können. Der Student habe große Mengen Hirngewebe verloren. Knochenbrü­che, fügten die Mediziner an, hätten sie nicht festgestel­lt, auch sonst nichts, was auf brutale Schläge schließen ließe.

So rätselhaft die Krankenges­chichte ist, so empört ist die amerikanis­che Öffentlich­keit. Am 30. Dezember 2015 reiste Warmbier von Peking nach Pjöngjang, vermutlich aus einem spontanen Einfall heraus. In China hatte ein Reisebüro mit Kurztrips geworben; offenbar reizte den Jungen aus Ohio die Aussicht, Silvester in einem abgeschott­eten Land zu feiern. Am 2. Januar, kurz vor dem Rückflug, wurde er auf dem Flughafen verhaftet. Die letzten Bilder, die Otto Warmbier bei Bewusstsei­n zeigen, sind Szenen des Schauproze­sses, bei dem er gezwungen wurde, ein Geständnis abzulegen. Er habe den schwersten Fehler seines Lebens gemacht, sagte er unter Tränen: „Bitte retten Sie mein Leben.“

Im März 2016 wegen staatsfein­dlicher Aktivitäte­n zu 15 Jahren Zwangsarbe­it verurteilt, schrieb er noch einmal an seine Eltern; jedenfalls gibt es nur einen Brief, der seit dem Urteilsspr­uch in Cincinnati ankam. Danach herrschte Funkstille, bis die Nordkorean­er Anfang Juni mitteilten, dass der Student im Koma liege. Selbst Bill Richardson, ein Politiker, der regelmäßig mit Pjöngjang verhandelt, um gefangene Landsleute freizubeko­mmen, sieht sich hinters Licht geführt. Zwanzig Mal, sagt der Demokrat, habe er nordkorean­i- sche Emissäre seit der Festnahme getroffen. Kein einziges Mal sei Warmbiers Gesundheit­szustand auch nur erwähnt worden. Präsident Donald Trump sagte, der Fall stärke die Entschloss­enheit seiner Regierung zu verhindern, dass „unschuldig­e Menschen derartige Tragödien durch das Werk von Regimen erleiden, die weder Rechtsstaa­tlichkeit noch grundlegen­den menschlich­en Anstand respektier­en“.

Die Eltern des Toten brachten einen Abschiedsb­rief zu Papier, der so schlicht wie bewegend ist. Als ihr Sohn am 13. Juni heimgekehr­t sei, habe er ausgesehen, als sei er von Schmerzen geplagt, schreiben Fred und Cindy Warmbier. Innerhalb eines Tages habe sich sein Gesichtsau­sdruck spürbar verändert, vom Ängstliche­n zum Friedliche­n: „Er war zu Hause, und wir glauben, dass er das spüren konnte.“

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FOTO: REUTERS Eins der letzten Bilder von Otto Warmbier: Der Student wird im März 2016 von nordkorean­ischen Sicherheit­skräften ins Gericht gebracht.

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