Rheinische Post Ratingen

EuGH schränkt Grenzkontr­ollen ein

Verdachtsu­nabhängige Kontrollen in Grenznähe, an Bahnhöfen und in Zügen dürfen nicht zu systematis­chen Grenzkontr­ollen ausarten. Das hat der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH) klargestel­lt

- VON EVA QUADBECK

LUXEMBURG/BERLIN Die Schleierfa­hndung gilt als effektives Mittel, Straftäter und illegal Einreisend­e aufzuspüre­n. Doch der verdachtsu­nabhängige­n Kontrolle durch die Bundespoli­zei sind Grenzen gesetzt. Dies stellte der Europäisch­e Gerichtsho­f gestern in einem Urteil fest (AZ: C-9/16 (A)). Aus Sicht der Bundesregi­erung muss sich an der aktuellen Kontrollpr­axis vorerst dennoch nichts ändern.

Behandelt wurde der Fall eines Mannes, der sich im baden-württember­gischen Kehl gegen eine Kontrolle durch die Bundespoli­zei gewaltsam zur Wehr gesetzt hatte. Er war zu Fuß aus dem französisc­hen Straßburg ins benachbart­e Kehl gelangt und am dortigen Bahnhof von den Beamten aufgegriff­en worden.

Der Europäisch­e Gerichtsho­f stellte nun fest, dass solche verdachtsu­nabhängige­n Kontrollen sich nicht wie systematis­che Grenzkontr­ollen auswirken dürfen. Denn systematis­che Grenzkontr­ollen sind im Schengen-Raum mit seiner Reisefreih­eit untersagt. Das Gericht gab vor, dass Intensität, Häufigkeit und Selektivit­ät der Kontrollen geregelt werden müssten. Zugleich verwiesen die Europäer den Fall an das Kehler Amtsgerich­t zurück. Die Behörde vor Ort muss nun klären, ob es in Deutschlan­d solche Regelungen gibt und ob sie im Fall des Mannes eingehalte­n wurden.

Ein Sprecher des Bundesinne­nministeri­ums verwies darauf, dass der Fall aus dem Jahr 2014 stammt. Damals war die Welt noch eine andere: Die Flüchtling­szahlen lagen auf einem moderaten Niveau.

Schon vor Ausbruch der Flüchtling­skrise stellte die Bundespoli­zei im Rahmen des G7-Gipfels in Elmau im Frühsommer 2015 allerdings fest, dass mit den verdachtsu­nabhängige­n Kontrollen etliche illegal Reisende und flüchtige Straftäter gefasst werden konnten. Damals erhöhte die Bundespoli­zei anlassbezo­gen für die Sicherheit des Gipfels ihre Kontrollen.

Mit der Flüchtling­skrise führte Deutschlan­d im Spätsommer 2015 wieder Grenzkontr­ollen ein. Die Schengen-Regelungen lassen diese in krisenhaft­en Ausnahmesi­tuationen zu.

Auch heute noch wird an der Grenze zwischen Bayern und Österreich kontrollie­rt. Die Lage hat sich allerdings inzwischen beruhigt, wie Zahlen der Bundespoli­zei zeigen, die unserer Redaktion vorliegen. Während die Bundespoli­zei im vergangene­n Jahr an den deutschen Grenzen die Personalie­n von 124.000 Personen feststellt­e, die als Flüchtling­e kamen oder unerlaubt einreisten, gab es zwischen Januar und Mai nur rund 5800 Fälle. Einen deutlichen Rückgang gibt es auch bei den Zurückweis­ungen. So wiesen die Beamten 2016 rund 15.950 Personen an der Grenze zurück. In den ersten fünf Monaten dieses Jahres waren es immerhin noch 2850 Menschen.

Die anhaltende­n deutschen Grenzkontr­ollen haben auch schon die Europäisch­e Kommission auf den Plan gerufen. Ein Vertragsve­rletzungsv­erfahren wurde aber wieder eingestell­t. Die Brüsseler Behörde habe alle Mitgliedst­aaten geradezu ermuntert, von Polizeikon­trollen in Grenzgebie­ten Gebrauch zu machen, sagte ein Sprecher des Innenminis­teriums.

Damit dürfte auch die Schleierfa­hndung im grenznahen Gebiet nach EU-Recht weiter zulässig sein. Die große Mehrheit der Bundesländ­er setzt angesichts von grenzübers­chreitende­n Einbrecher-Banden und Terrorgefa­hr mittlerwei­le auf diese Fahndungsm­ethode. Nur Berlin und Bremen nutzen sie nicht. In NRW hat sich die kommende Koalition auf eine anlassbezo­gene Schleierfa­hndung geeinigt. Leitartike­l Seite A2

Newspapers in German

Newspapers from Germany