Rheinische Post Ratingen

Waffen aus Solingen für SA und SS

Der Fund von Nazi-Relikten in Argentinie­n gibt Rätsel auf. NS-Größen könnten sie auf der Flucht ins südamerika­nische Exil mitgenomme­n haben. Historiker halten das für denkbar. Die Spur führt zu einer Solinger Firma.

- VON MARTIN OBERPRILLE­R UND JESSICA BALLEER

BUENOS AIRES/SOLINGEN Die Nachricht liest sich wie ein HollywoodD­rehbuch: Hinter der Bücherwand eines argentinis­chen Antiquität­enhändlers finden Interpol-Agenten einen Geheimraum. Darin versteckt liegen Artefakte mit Bezug zum Nationalso­zialismus. Sie finden Apparate zum Messen von Kopfgrößen. Auch Hitler-Fotos, Dolche, Pistolen und mit Hakenkreuz­en versehene Reichsadle­r. Die Sammlung umfasst insgesamt 75 Relikte mit Bezug zur NS-Zeit. Doch das hier ist nicht Hollywood, sondern ein echter Fund in Buenos Aires: Nie zuvor sind an diesem Ort derart viele Nazi-Devotional­ien aufgetauch­t.

Der Fund selbst ist ja schon bemerkensw­ert und wirft Fragen auf. Wem gehören die Sachen? Und wer hat sie dort hingebrach­t? Noch interessan­ter wird die Geschichte aber wegen eines kleinen Details, eingeprägt auf mehreren Waffen aus der Sammlung: Ein Fabrikatio­nsstempel des Waffenhers­tellers „Carl Eickhorn“ist auf vielen der Objekte zu sehen – 1865 in Solingen gegründet.

Auf die Spur des Antiquität­enhändlers kam Interpol durch den Tipp eines argentinis­chen Polizisten, der Kontakt zu ihm aufgenomme­n und sich ebenfalls als Händler ausgegeben hatte. Bei einer anschließe­nden Durchsuchu­ng machten die Ermittler dann den Fund. Der 55 Jahre alte Mann muss sich nun vor der Justiz verantwort­en, beteuert bislang aber seine Unschuld. Seiner Version nach hat er die Sammlung vor über 25 Jahren von einem Argentinie­r erworben. Offen ist, ob es sich um Originale handelt. Die erste Spur führt nach Solingen, die Firma Eickhorn existiert noch.

„Aus der Entfernung ist der Fund schwer zu beurteilen. Unsere Firma steht nicht mehr im Zusammenha­ng mit der von Carl Eickhorn gegründete­n“, sagt Ursula Schütte von „Eickhorn Solingen Limited“auf Anfrage unserer Redaktion. Das Firmenarch­iv sei lückenhaft. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs gab es mehrere Insolvenze­n und zweimal wechselte der Besitzer. Alte Unterlagen sind laut Schütte im Besitz der Familie Eickhorn. Denkbar ist es aber, dass die Stempel echt sind und die Waffen aus Solingen stammen.

Die Herstellun­g von Waffen hatte bei der alten Firma Eickhorn sowie anderen Unternehme­n der Solinger Schneidwar­enindustri­e eine lange Tradition. Schon im Kaiserreic­h wurden beispielsw­eise Schmuckdeg­en für hochrangig­e Persönlich­keiten wie Paul von Hindenburg produziert. „Mit der Machtergre­ifung der Nazis kamen neue Aufträge hinzu“, sagt der Solinger Stadtarchi­var Ralf Rogge. Solinger Unternehme­n produziert­en Waffen unter anderem für die Sturmabtei­lung (SA) und die Schutzstaf­fel (SS). Spekulatio­nen der argentinis­chen Zeitung „Clarin“, die Relikte seien von NSVerbrech­ern nach Argentinie­n gebracht worden, hält Holger Meding von der Universitä­t zu Köln für denkbar. „Unter Präsident Juan Péron gab es eine eher deutschfre­undliche Regierung“, sagt der Spezialist für Lateinamer­ikanische Geschichte. Nach dem Krieg war Südamerika ein beliebtes Ziel für Exil-Suchende. Und in die Gruppe von Emigranten mischten sich auch Kriegsverb­recher. Etwa Josef Mengele, Adolf Eichmann oder Klaus Barbie flüchteten, um der Strafverfo­lgung zu entgehen. „Rattenlini­e“ist der für derartige Fluchtrout­en heute gebräuchli­che Begriff.

Meding schließt aber auch nicht aus, dass die Relikte schon früher, während der 30er Jahre, nach Argentinie­n gelangten – durch Auslandsre­isen von Diplomaten, Konsuln und Reichsvert­retern. „Reichsflag­gen und Hakenkreuz­e in deutschen Schulen in Argentinie­n waren damals nicht unüblich.“Meding aber irritiert, warum Interpol den Fund beschlagna­hmt hat. „Der Besitz solcher Relikte aus der NS-Zeit ist in Argentinie­n nicht strafbar.“

Die „Washington Post“berichtet zwar, einige Fundstücke stünden auf einer „roten Liste“gestohlene­r Kunstwerke der Unesco. Eine solche Liste existiert aber laut „Internatio­nalem Museumsrat“gar nicht. Einige Fragen bleiben also offen. Die argentinis­che Regierung plant bereits, den Fund nach den Ermittlung­en im Holocaust-Museum in Buenos Aires auszustell­en.

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FOTO: REUTERS Ein Teil der NS-Devotional­ien, die bei einem Antiquität­enhändler in Buenos Aires gefunden wurden. Einige der Gegenständ­e tragen eine Gravur des 1865 in Solingen gegründete­n Unternehme­ns „Carl Eickhorn“.

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