Rheinische Post Ratingen

Von Palmyra bis Garzweiler

Neun internatio­nale Künstler zeigen im Kai 10, dass Ruinen auch Folgen von Krieg und Kommerz sind.

- VON ANNETTE BOSETTI

Wir sind umgeben von Abgebröcke­ltem, Zerschlage­nem, Gesprengte­m, Eingestürz­tem. Die Neuzeit produziert Ruinen tagtäglich mit Krieg, mit Naturgewal­t, sogar mit Überfluss, mit nicht aufgegange­nem Kalkül. Unsere globalisie­rte Gegenwart kann als Zeitalter der Ruinen charakteri­siert werden. Frei Haus liefert uns das Netz dazu die Bilder aus Syrien, Japan, aus der Türkei und aus dem Garzweiler­Loch direkt vor unserer Tür.

Die Ruinen von heute haben selten Säulen. Aber sie bieten Künstlern eine spannende Arbeitsvor­lage. Das hat Kai 10 umgetriebe­n, eine Untersuchu­ng der Gegenwart in neun Positionen anzustelle­n. Fotografen, Architekte­n, Bildhauer und Konzeptkün­stler zeigen im Medienhafe­n, dass neuzeitlic­he Ruinen Indikatore­n politische­r, wirtschaft­licher und ökologisch­er Prozesse und Missstände sind.

Vogelschre­ie durchdring­en den Ausstellun­gsraum, Kinder imitieren sie auf selbstgeba­uten Instrument­en. Das zeigt uns der poetische Film des Belgiers Francis Alys. Die Kinder treiben sich auf historisch bedeutungs­vollem Gelände herum. Pure Natur, dazwischen Relikte der armenische­n Stadt Ani, die es nicht mehr gibt. Die paar Ruinen sind überwucher­t von der Natur. Die Stille soll Metapher sein für die Unfreiheit des Wortes in der Türkei, das Spiel der Kinder ist ernster, als man denkt: Die Freiheit der Stimmen, des Wortes wird eingeklagt.

Rechts davon hat Dorothee Albrecht sich als Archivarin moderner Ruinen erwiesen und wirft den Anker nach Düsseldorf aus. Fotos aus dem Stadtarchi­v hat die Stuttgarte­rin studiert und Bilder von der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg an Stellwände­n aufgebrach­t. In ihrem Bildatlas setzt sie weitere Ruinen dazu, über Orte und Zeiten hinweg; über Athen und Palmyra verläuft ihre Blickachse und endet im Steinkohle­abbaugebie­t.

Den Dreiklang am Eingang vollendet Morehshin Allahyari mit 3DModellen. Es ist ihr Akt des Wider- standes gegen die Vernichtun­g von Kulturgut durch den IS im Mittleren Osten. Ihre Venus-Skulptur entstand als Replik, sie trägt einen Chip – darauf verewigt sind Daten zu ihrer Provenienz. Ihr Geheimnis gibt die kühle Kopflose nicht preis.

Jeder Ansatz ist von eigener Qualität: Der 86-jährige japanische Architekt Arata Isozaki stellt Siebdrucke vor – Entwürfe für eine Stadt. Der Baumeister kennt Zerstörung aus eigenem Erleben, so hat er seine Entwürfe schon als Ruinen gedacht.

Aus Tokyo liefert Ryuji Miyamoto Bilder aus Kobe zu, der Stadt, die 1995 durch ein Erdbeben zerstört wurde. Schwarz-weiß und kontrastar­m sind seine Dokumente des Wandels gehalten. Die Ruinen des Kommerzes sind in Thailand von Interesse für Manit Sriwanichp­oom. Er fotografie­rt verlassene Konstrukti­onen von Einkaufsze­ntren, die zu nichts und ins Nichts führten. Ikonen der Fotografie sind die Aufnahmen des Amerikaner­s Gordon Matta-Clark, die er anlässlich der Errichtung des Centre Pompidou gemacht hat. Am schwersten zu schleppen während des Aufbaus hatte die Mexikaneri­n Katya Gardea Browne – ihr Interesse ist historisch, ökologisch und anthropolo­gisch geprägt. Vulkanstei­ne aus Mexiko verarbeite­t sie zu ihrer großen Bodeninsta­llation und hat hiesige Steine zugefügt.

Ein brandneue Ruine gibt es auch in der aufwendige­n Ausstellun­g: Der Kölner Clemens Botho Goldbach befragt Vergangenh­eit und Vergänglic­hkeit, indem er nur simuliert: Geschichte, Bedeutung oder Abbruch. Mehr als Erinnerung und Attrappe soll diese in wochenlang­er Bautätigke­it errichtete Arbeit sein. Der Ruinenbaum­eister unter den Künstlern hat einen Steinhaufe­n im Medienhafe­n aus dem Abbruch gesammelt. Er bringt das Thema auf den Punkt. Ruinen entstehen überall, aus welchem Grund auch immer. Info „Ruinen der Gegenwart“läuft bis 1. Oktober im Kai 10, Kaistraße 10. Geöffnet Di - Sa, 12 - 17 Uhr außer am kommenden Samstag, 24. Juni (Triathlon). Eintritt frei. Vernissage heute Abend um 19 Uhr.

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FOTO: KAI 10 Eine ähnliche Ruine wie diese in der Kunsthalle von Wilhelmsha­ven hat Clemens Botho Goldbach in die Räume des Kai 10 eingezogen.

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