Rheinische Post Ratingen

Der Bundestag gibt sein Ja-Wort

Die Ehe für alle kommt: Neben SPD, Grünen und Linken stimmt auch ein Viertel der Abgeordnet­en der Union für die Gleichstel­lung von Homo- und Hetero-Paaren. Die Gegner sehen einen Verfassung­sbruch.

- VON BIRGIT MARSCHALL UND HENNING RASCHE

BERLIN Der Bundestag hat mit den Stimmen von SPD, Grünen, Linken und einem knappen Viertel der Unionsabge­ordneten die Öffnung der Ehe für Schwule und Lesben beschlosse­n. 393 der 623 anwesenden Abgeordnet­en stimmten für die Ehe für alle, davon auch 75 der 309 Mitglieder der Unionsfrak­tion. Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die den Stein Anfang der Woche selbst ins Rollen gebracht hatte, votierte mit Nein. „Für mich ist die Ehe im Grundgeset­z die Ehe von Mann und Frau“, sagte Merkel. Sie sei aber dafür, dass auch homosexuel­le Paare gemeinsam Kinder adoptieren dürfen. Das wird künftig möglich sein.

Die Ehe für alle ist eine Zäsur in Deutschlan­d. Jahrelang hatte die Union entspreche­nde Initiative­n aus den übrigen Parteien blockiert. In den vergangene­n Wochen hatten jedoch Grüne, FDP und SPD die Gleichstel­lung der Rechte homound heterosexu­eller Paare zur Be- dingung für eine künftige Koalition erklärt. Bei einer Talkrunde der Zeitschrif­t „Brigitte“hatte Merkel daraufhin am Montagaben­d die umstritten­e Frage zu einer „Gewissense­ntscheidun­g“erklärt, die jeder Abgeordnet­e selbst treffen solle.

Dabei dürfte Merkel nicht bewusst gewesen sein, dass dem Bundestag noch Zeit genug blieb, in der zu Ende gehenden Legislatur­periode einen bereits entscheidu­ngsreif vorliegend­en Gesetzentw­urf des Bundesrats zu beschließe­n. Die Kanzlerin hatte über die Öffnung der Ehe erst nach der Wahl entscheide­n wollen. In Koalitions­verhandlun­gen hätte die Union für ihre Zustimmung einen hohen Preis verlangen können, so das Kalkül. Diese Rechnung ging jedoch nicht auf, weil die SPD die Chance ergriff, noch in dieser Woche einen Beschluss herbeizufü­hren. SPD-Chef Martin Schulz betonte jedoch, die Ehe für alle sei kein Sieg der SPD über die Union, sondern ein Sieg der Toleranz und Menschenwü­rde. Große Freude zeigte Grünen-Politiker Volker Beck, der nach 23 Jahren im Bundestag seine letzte Rede hielt.

SPD, Grüne und Linke stimmten geschlosse­n mit Ja. Auch in der Union gab es prominente Befürworte­r: Kanzleramt­sminister Peter Altmaier, Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen, die Staatsmini­sterin im Auswärtige­n Amt, Maria Böhmer, Ex-Familienmi­nisterin Kristina Schröder sowie Finanzstaa­tssekretär Jens Spahn und CDU-Generalsek­retär Peter Tauber. Nein sagten Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble, Innenminis­ter Thomas de Maizière, Gesundheit­sminister Hermann Gröhe und Bundestags­präsident Norbert Lammert (alle CDU).

Die Kritiker in der Union und in der AfD prüfen nun Verfassung­sklagen. Der frühere Verfassung­srichter Hans-Jürgen Papier sagte dem „Spiegel“: „Wenn man die Ehe öffnen will, muss man das Grundgeset­z ändern.“Eine Ehe könne nur eine Verbindung zwischen Mann und Frau sein, argumentie­ren die Kritiker. Der Berliner Staatsrech­tler Christoph Möllers dagegen sagte, das Grundgeset­z enthalte „sicherlich kein Diskrimini­erungsgebo­t“. Auch wenn man den Ehe-Artikel traditione­ll verstehe, könne man daraus keine Schlechter­stellung Homosexuel­ler ableiten. Leitartike­l Seite A2 Politik Seite A4

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