Rheinische Post Ratingen

Das sagt das Grundgeset­z

Nach Ansicht von Juristen hat der Gesetzgebe­r großen Gestaltung­sspielraum.

- VON HENNING RASCHE

BERLIN Als die Kanzlerin nach der Abstimmung im Bundestag vor die Mikrofone tritt, ist bereits klar, wie sie votiert hat. „Die Ehe im Sinne des Grundgeset­zes ist eine Ehe zwischen Mann und Frau“, sagt Angela Merkel. Deswegen habe sie sich gegen die Öffnung der Ehe für Homosexuel­le entschiede­n. Sie hoffe, dass nun ein „gesellscha­ftlicher Frieden“in der Sache einkehre. Doch das ist unwahrsche­inlich. Denn schließlic­h wird sich wohl noch das Bundesverf­assungsger­icht mit der Ehe für alle befassen. Es wird entscheide­n müssen, ob sie mit dem Grundgeset­z vereinbar ist. Oder hätte man Artikel 6 ändern müssen? Ein Überblick über die Debattenla­ge. Was steht überhaupt in Artikel 6? Der betreffend­e Satz in Artikel 6 des Grundgeset­zes lautet: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatliche­n Ordnung.“In wenigen Fragen herrscht so viel Klarheit wie hier. Dieser simple Satz bedeutet zunächst einmal, dass der Gesetzgebe­r das Institut Ehe schaffen und beschützen muss. Und in jedem Fall darf er die Ehe nicht schlechter behandeln als irgendeine andere Lebensform. Das war es dann aber auch schon mit der Einhelligk­eit. Ist die Ehe des Grundgeset­zes heterosexu­ell? Viele Politiker der Union, etwa die CSU-Landesgrup­penchefin Gerda Hasselfeld­t, sehen das so. Und auch etliche vor allem konservati­ve Juristen sind der Auffassung, dass das Grundgeset­z mit „Ehe“nur Mann und Frau gemeint haben kann – schließlic­h stamme es von 1949. Doch man muss das nicht so sehen. Frauke Brosius-Gersdorf, Staatsrech­tlerin an der Universitä­t Hannover, sagt: „Dass die Ehe auch zwischen zwei gleichgesc­hlechtlich­en Partnern geschlosse­n werden kann, stand 1949 nicht zur Debatte. Es wurde damit aber auch nicht ausdrückli­ch ausgeschlo­ssen.“Weder im Grundgeset­z noch im Bürgerlich­en Gesetzbuch war bislang definiert, was eine Ehe eigentlich ist. „Das bedeutet, der Gesetzgebe­r hat einen sehr großen Gestaltung­sspielraum“, sagt Brosius-Gersdorf. Muss aus der Ehe nicht eine Familie hervorgehe­n können? Neben dem historisch­en Argument wird oft ins Feld geführt, dass die Ehe gerade deshalb besonders vom Grundgeset­z geschützt werde, weil aus ihr eine Familie, also Kinder, hervorgehe­n könnten. Eine Ehe dürfe demnach nur derjenige führen, der potenziell fortpflanz­ungsfähig ist. Staatsrech­tlerin BrosiusGer­sdorf widerspric­ht: „Ebenso wenig wie die Familie eine Ehe voraussetz­t, erfordert die Ehe, dass sie zur Familie werden kann.“Ebenso wird man heterosexu­ellen Ehepartner­n, die keine Kinder haben wollen oder können, nicht absprechen können, dass sie eine Ehe führen. Was macht das Bundesverf­assungsger­icht? „Die Frage, was verfassung­skonform ist und was nicht, darf nicht unter politische­r Opportunit­ät beurteilt werden“, hat Volker Kauder, Fraktionsc­hef der Union, in der Debatte im Bundestag gesagt. Entscheide­n werden am Ende also die Richter in Karlsruhe. Christoph Degenhart, Staatsrech­tler aus Leipzig, hätte es zwar für den „sauberen Weg“gehalten, das Grundgeset­z zu ändern, aber: „Ich könnte mir vorstellen, dass das Bundesverf­assungsger­icht pragmatisc­he Lösungen sucht, um das Gesetz zu halten.“Und auch Frauke BrosiusGer­sdorf glaubt an die Zulässigke­it der Ehe für alle – sie stehe mit Artikel 6 in Einklang.

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