Rheinische Post Ratingen

Regenbogen­konfetti nach dem Ja

Bei der Debatte im Bundestag knallt es zweimal – vor Freude und vor Wut.

- VON HENNING RASCHE

BERLIN Als es im Bundestag richtig knallt, ist es 9.10 Uhr. Die Mehrheit hat sich da bereits vor Kameras positionie­rt, um rasch ins Fernsehen zu gelangen. Die einen wollen einen Erfolg für sich reklamiere­n, die anderen schimpfen. Norbert Lammert (CDU) ist das einerlei. Der Bundestags­präsident sitzt stur da, als er verkündet: 623 abgegebene Stimmen, 393 Mal Ja, 226 Mal Nein, vier Enthaltung­en. Die Ehe für alle ist beschlosse­ne Sache. Die Grünen zünden eine Konfettika­none.

49 Minuten haben die Abgeordnet­en diskutiert. Die Sozialdemo­kraten haben in dieser Zeit ihre Ehe mit der Union aufs Spiel gesetzt – und damit viele neue ermöglicht. „Das ist vielleicht nicht gut für die Koalition“, sagt SPD-Fraktionsc­hef Thomas Oppermann, der als Erster am Rednerpult und später auch vor den Kameras steht, „aber es ist gut für die Menschen.“Seitenhieb­e in Richtung der Union verkneift er sich nicht, seine Tonlage ist gleichwohl vor allem: versöhnlic­h. Oppermann weiß, man braucht sich vielleicht noch in diesem Leben.

Volker Kauder lässt seine Faust ebenfalls in der Tasche. Der Chef der Unionsfrak­tion ist gegen diese Debatte, gegen diese Abstimmung und auch gegen die Ehe für alle. Aber er reißt sich zusammen, fordert Respekt ein, für alle, die anderer Auffassung sind als die Mehrheit. So wie er. Kauder hat die Abstimmung bereits verloren gegeben. Er weiß, er ist in der Minderheit.

In derselben Fraktion wie Kauder, aber anderer Auffassung, ist JanMarco Luczak. Er hält die bemerkensw­erteste Rede des Tages: „Gerade weil ich Christdemo­krat bin, bin ich für die Öffnung der Ehe“, sagt er. Man schütze die Ehe nicht, indem man sie anderen vorenthalt­e. Ein Konservati­ver, der die Ehe für alle mit seiner konservati­ven Haltung begründet. „Das ist bürgerlich­e Politik“, schwärmt Luczak. Das Herz der Demokratie pocht in diesem Moment ein wenig lauter.

Der respektvol­le Teil der Debatte ist damit vorbei. Es folgt der, nun ja, leidenscha­ftliche Teil. Der Grüne Volker Beck und der Sozialdemo­krat Johannes Kahrs kämpfen seit Jahren für die Rechte Homosexuel­ler. Sie gelangen nun an ein lang ersehntes Ziel. Eines, das vor allem die Union lange verhindert hat, findet Kahrs. „Das war erbärmlich, das war peinlich“, sagt er. Er ist es, der noch vor der Konfettika­none für den ersten Knall des Tages gesorgt hat. Kahrs ist sauer. Angela Merkel habe die Diskrimini­erung von Schwulen und Lesben seit 2005 unterstütz­t, ruft Kahrs der Kanzlerin entgegen. Er schließt mit: „Ehrlicherw­eise, Frau Merkel: Danke für nichts.“

In diesem Moment rückt Sigmar Gabriel in den Blick. Als Vizekanzle­r sitzt er neben Merkel. Während Johannes Kahrs redet, guckt der ehemalige SPD-Chef, als wolle er sich am liebsten einen Schuhkarto­n über den Kopf stülpen, um das nicht mitzuerleb­en. Die Scham steht ihm im Gesicht. Ohnehin geben Kanzlerin und Vizekanzle­r ein harmonisch­es Bild ab an diesem Tag. Die beiden tuscheln und feixen, als könne sie niemand trennen. Union und SPD bleiben aus Vernunft noch ein wenig zusammen. Die Scheidung kommt später. Oder nie.

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FOTO: DPA Die Entscheidu­ng steht, die GrünenFrak­tion um Volker Beck feiert.

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