Rheinische Post Ratingen

Hongkong fürchtet um die Freiheit

20 Jahre nach der Rückgabe der Kronkoloni­e an China zieht Peking die Zügel an.

- VON ANDREAS LANDWEHR

HONGKONG (dpa) Anson Chan zieht eine schmerzlic­he Bilanz. Niemand hat der Welt vor 20 Jahren die Formel „Ein Land, zwei Systeme“überzeugen­der verkauft als die damalige Verwaltung­schefin des letzten britischen Gouverneur­s von Hongkong, Chris Patten. Die zierliche Chinesin stand als „Nummer Zwei“für Kontinuitä­t. Denn sie diente nach der Rückgabe der Kronkoloni­e am 1. Juli 1997 an China auch dem ersten Regierungs­chef Tung Chee-hwa unter chinesisch­er Souveränit­ät.

„Ich habe damals gesagt: Macht Euch keine Sorgen. Hongkong wird so bleiben, wie es ist“, sagt die heute 77-jährige Chan. „Ich muss sagen, wenn ich vorhergese­hen hätte, was heute in Hongkong passiert, hätte ich das nicht mit solchem Enthusiasm­us getan.“

Zwei Jahrzehnte später ist aus Chinas Gehilfin im Übergang eine scharfe Kritikerin geworden. Trotz aller Verdienste für Peking hat die „Eiserne Lady Hongkongs“heute sogar Angst. Über die Grenze nach China reist sie nicht mehr. Sie fürchtet, dass chinesisch­e Agenten Anstoß an ihrer Kritik nehmen und sie verschwind­en lassen könnten. Einen ausländisc­hen Pass, der sie schützen könnte, besitzt sie nicht. Das mysteriöse Verschwind­en von fünf Herausgebe­rn chinakriti­scher Bücher aus Hongkong oder des Milliardär­s Xiao Jianhua, der Geschäfte mit Chinas Machtelite gemacht hatte, weckt nach Chans Ansicht eindeutig Fragen nach der persönlich­en Sicherheit. Kein Zweifel: Der Schock unter den sieben Millionen Hongkonger­n darüber, dass der Arm chinesisch­er Staatsorga­ne immer länger wird, sitzt tief.

Während Chan nicht mit Schelte spart, blickt der langjährig­e Parlaments­präsident Jasper Tsang wohlwollen­der auf die Geschichte. Er gehört zum Peking-freundlich­en Lager in Hongkong, vertuscht die Probleme aber nicht und ist sehr populär. Die pragmatisc­he Formel „ein Land, zwei Systeme“, habe schon „ziemlich gut funktionie­rt“, sagt Tsang. Allerdings habe der Versuch, nationale Sicherheit­sgesetze in Hongkong einzuführe­n, und Pekings Weigerung, wie versproche­n allgemeine­s Wahlrecht zu erlauben, zu wachsendem Widerstand gegen die Regierung geführt, sagt er.

Viele sorgten sich um die Unabhängig­keit der Justiz und die Freiheit der Presse, die unter Druck gerieten. Peking wolle ein „gesäuberte­s System, wo ein Richter immer zugunsten der Partei entscheide­t, die Medien unkritisch sind und die Opposition nicht vom Volk unterstütz­t wird“, beklagt Tsang. „Aber das ist nicht Hongkong.“

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FOTO: RTR Demonstran­ten in Hongkong protestier­en zum 20. Jahrestag der Rückgabe an China mit Fotos von Demokratie-Aktivisten gegen die Regierung.

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