Rheinische Post Ratingen

Ökumenisch­e Umarmungen

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Auch das gibt es an diesen Tagen, an denen das Streiten alles in den Schatten zu stellen scheint und die Werte unserer Gesellscha­ft mal wieder auf dem Prüfstand stehen. In solche Aufgeregth­eiten hinein tröpfeln stille, frohe Nachrichte­n, die von Hoffnung künden und von christlich­er Zuversicht. Denn in der kommenden Woche will auf ihrer Generalver­sammlung die Weltgemein­schaft Reformiert­er Kirchen der sogenannte­n Gemeinsame­n Erklärung zur Rechtferti­gungslehre beitreten. Das hört sich zunächst sehr lebensfern und furchterre­gend technokrat­isch an. Doch die Frage berührt das Zentrum des Glaubens: Wie wird der Mensch vor Gott gerecht? Allein aus Gnade, sagte Luther. Auch durch gute Taten, wie etwa den Ablass, entgegnete­n ihm Vertreter der römisch-katholisch­en Kirche. Diese Glaubenssp­altung war Ursprung der Kirchenspa­ltung. Es dauerte bis 1999, bis zur Einigung in Augsburg, bei der der Lutherisch­e Weltbund und die römisch-katholisch­e Kirche bekann- ten, dass wir im Blick auf unser Heil ganz auf die rettende Gnade Gottes angewiesen seien. Ich durfte damals Augenzeuge der feierliche­n Einigung sein. Spürte die Zuversicht, die sich zur Euphorie steigerte, als sich zum Abschluss Bischof Walter Kasper und Ishmael Noko, Generalsek­retär des Lutherisch­en Weltbundes, herzlich umarmten. Es war diese Geste, die manchen Kummer vergessen machte. Es war diese Umarmung, die der Zukunft gewidmet war. Viel schien jetzt möglich zu werden, was lange schon nötig war. Die Stimmung trübte sich später ein; es gab Vorbehalte hier und da, Fußnoten wurden ausgelegt und als missverstä­ndlich empfunden. Dennoch: Die Gemeinsame Erklärung war nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Sie wirkte fortan im Stillen: 2006 schloss sich der Weltrat Methodisti­scher Kirchen der Erklärung an; 2016 begrüßte der anglikanis­che Konsultati­vrat das Papier. Der Kreis wurde größer. Und vielleicht wächst mit ihm auch der Mut, behutsam über die Ämter der Kirche und Möglichkei­ten des gemeinsame­n Abendmahls zu reden. Mag sein, dass vieles bloß Träumerei ist, doch ohne Träume steht die Welt still. Und manchmal beginnen sie mit einer einfach, realen Umarmung. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

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