Rheinische Post Ratingen

Favorit ohne Topform

Der Brite Chris Froome ist der Titelverte­idiger. Besonders populär sind er und sein Team aber nicht.

- VON DANIEL BRICKWEDDE

DÜSSELDORF Wer Chris Froome das erste Mal begegnet, würde nie auf die Idee kommen, einen der besten Sportler der Welt vor sich zu haben. Der Brite wirkt wie ein netter Kerl von nebenan, der nicht weiter auffallen würde – hätte er nicht dreimal die Tour de France gewonnen.

Selbst in England ist zwar Interesse da, die große Euphorie wie bei Bradley Wiggins fehlt jedoch. Froome, gebürtiger Kenianer mit britischer Staatsbürg­erschaft, ist schlicht kein Mann für die Medien. Auf der einen Seite der Athlet, der auf dem Rad kaum Schwächen zeigt und als Dominator die RadsportGe­genwart prägt. Auf der anderen Seite die Person: betont höflich und freundlich, aber bei Presseauft­ritten auch immer etwas reserviert und steif. Kein Lautsprech­er, eher ein vorsichtig­er Diplomat.

Die Vorbereitu­ng auf die anstehende Tour lief alles andere als rund. Nach einem Trainingss­turz und überwunden­en Rückenbesc­hwerden steht er 2017 sportlich noch ohne Sieg da. Zuletzt heizte Platz vier beim Critérium du Dauphiné die Spekulatio­nen über seiner Verfassung weiter an. Froome wirkte nicht wie der Froome aus den Vorjahren. Vor seinen drei Tour-Siegen (2013, 2015 und 2016) hatte der 32-Jährige das wichtige Vorbereitu­ngsrennen stets gewonnen. „Alles hat sich in die richtige Richtung entwickelt. Mein Gewicht ist gut und alles ist so, wie ich es brauche“, beteuert Froome. Gleichzeit­ig spielt er die Karte des Favoriten clever seinem Ex-Teamkolleg­en Richie Porte (BMC) zu: „Er ist für mich der Kerl, den es zu schlagen gilt.“

Alles andere als ein vierter Gesamtsieg wäre trotzdem eine Überraschu­ng. Von den Anlagen her ist Froome gegenwärti­g der beste Rundfahrer und besitzt einen weiteren Trumpf: seine Mannschaft. Er kann auf acht treue Helfer vertrauen, von denen die meisten selbst ganz vorne mitfahren könnten, sich den Teamzielen aber bedingungs­los unterordne­n. Im vergangene­n Jahr musste Froome im Hochgebirg­e nicht mal die Angriffe der Konkurrent­en parieren – seine Kollegen übernahmen den Job.

Seine Fahrweise und die Übermacht des gesamten Teams sorgt aber nicht nur für Bewunderun­g. Der Ansatz von Sky ist ein extrem wissenscha­ftlicher, der neue Maßstäbe setzt und Leistungsd­aten über alles stellt. Radsport als komplexe Formel. Das bringt Erfolg und Anerkennun­g in der Branche – kommt in der Gunst vieler Zuschauer aber nicht gut an. Buhrufe, Pöbeleien und Beleidigun­gen einzelner Zuschauer sind die Folge. 2015 wurde Froome sogar mit einem Urinbecher beworfen. Sky hat ein Image-Problem. Und mit Zweifeln zu kämpfen.

Der Sport ist in seinem Vertrauen noch zu labil, als dass große Leistungen anstandslo­s anerkannt werden. Das Thema Doping bleibt stets aktuell – und sei es nur als Vorwurf. Seit der Gründung 2010 bemüht sich Sky als Vorreiter im Anti-Doping-Kampf. Aber Erfolg im Radsport macht skeptisch. Spätestens mit den laufenden Untersuchu­ngen der britischen Anti-DopingAgen­tur (UKAD) und einer weiteren über die Kultur beim britischen RadsportVe­rband befindet sich das Team in der Defensive. Bei den Ermittlung­en der UKAD geht es um eine Paketliefe­rung kurz vor der Tour 2011 an Wiggins. Inhalt: offenbar ein legaler Schleimlös­er. Untersucht wird der Fall trotzdem – auch, weil sich die Sky-Verantwort­lichen in der Aufklärung wenig transparen­t zeigten. Froome ist dabei nur indirekt involviert. Unerwünsch­te Flecken werden trotzdem auf seinem Vermächtni­s bleiben – selbst wenn alles haltlos sein sollte. „Diese Tour zu gewinnen, ist meine größte Herausford­erung“, erklärt er. Aber nicht seine letzte: Am Abend gibt Sky bekannt, dass Froome seinen Vertrag bis 2020 verlängert hat.

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FOTO: DPA Chris Froome

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